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Planen


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag26.12.2017 17:24
Planen
von Christof Lais Sperl
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Planen

Wer Konrad zum ersten Mal begegnet hat das Gefühl, als würde er von einem Wagen überrollt. Eine basshaltige Stimme und ein großer Körper wälzen sich voran, der Händedruck hinterlässt brennenden Schmerz, doch Konrads anziehende Körperlichkeit löst im gleichen Moment auch wohlige Schauer aus. Bei mir jedenfalls. Ein Uhr früh ist es. Zu dieser Zeit kann man Konrad jede Nacht antreffen. Dann sieht man, wie sich der schwankende Kegel des Radscheinwerfers nähert.

Vier Teelichter hat Konrad in seinem Zuhause noch angezündet. Die reichen für einen Topf.  Unter den Straßenlampen leuchten jetzt Atemwolken, die Konrad in regelmäßigen Stößen hinter sich lässt, und die sich alsbald auflösen. Das Fahrzeug wirkt mit den Gepäcktaschen schwer wie ein Motorrad, doch Konrad bewegt es mit kräftigem Schub voran, während das Reifenprofil heult. Schon hat Konrad den Treffpunkt erreicht, an dem der Verteiler im Auto auf ihn wartet. Es ist kalt. Unrund und müde läuft der Motor. Der Verteiler hat das Fenster geöffnet, und bläst schwere Rauchwolken heraus, die sich mit dem Dampf des Atems und der Radiomusik gemischt haben.

Konrad stopft am Parkplatz die Packen in die Gepäckträgertaschen. Pro Paket fünfzig Stück. Vier können die Taschen aufnehmen. Macht zweihundert. Sind die Ausgaben dicker, was vor Weihnachten oft der Fall ist, steckt Konrad die überschüssigen Exemplare in den Rucksack. Wenn er schnell ist, könnte er um fünf wieder daheim sein. Und schlafen.  

„Jetzt komm in die Pötte“, raunzt der Verteiler,
„Es ist kalt. Und mach den Kofferraum zu. Die friert.“

Er tätschelt die Frau neben sich.

„Halt den Rand“, sagt Konrad,

„ich bin doch sowieso der Letzte auf der Tour. Hinten ist nichts mehr drin.“

„Wird auch Zeit“, sagt der Verteiler. „Wenn ich nur solche Idioten wie dich hätte, wäre ich am Abend noch nicht fertig. Du bist doch schon vollkommen im Eimer, wenn du bloß morgens aufstehst, du Penner. Beeil dich, oder ich komme dir gleich raus.“

„Dürfte ich Ihnen bei Gelegenheit einmal meinen bissigen Hund vorstellen, mein Herr?“, fragt Konrad. „Der möchte gern einmal Ihre Bekanntschaft machen.“

Mit mächtigem Schwung drückt Konrad den Kofferraumdeckel nach unten. Der Deckel knallt zu, und der Luftdruck lässt einen Windstoß aus dem klapprigen Fahrzeuginneren entweichen, in das sofort wieder kalte Luft eingesaugt wird. Der Verteiler lässt den altersschwachen Motor hochdrehen und fährt weg.

Hinter dem hellen Oval des Scheinwerferlichts fährt Konrad die Häuser ab. Er kennt die Tour seit Jahren. Pro Exemplar zwanzig Cent. Ausgezahlt wird samstags. Bar. Es ist wichtig, das Rad gut gesichert abzustellen. Mit der großen Last kann es leicht umfallen. Konrad hat sich extra einen kräftigen Ständer montiert. Die wollenen Finger hat er sich vorn abgeschnitten. Sonst hat er zu wenig Gefühl für die Briefkastendeckel. Selbst mit eiskalten Fingerspitzen hat er noch mehr Empfindung als in unbeschädigten Handschuhen. In fast jeden Briefkasten kommt eine Zeitung. Konrad hat Glück mit seinem Gebiet. Viele Mietshäuser. Dort sind die Wege nicht so lang, wie in den Villenvierteln. Aber der Verteiler wird ihm bald einen schlechteren Stadtteil zuordnen. Bloß, um seine Macht zu zeigen. Dann wird er nicht vor neun fertig.

Konrad hat ein Abi von einsfünf und mal ein Studium begonnen: Sport und GK für Lehramt. Aber das hat alles nicht so richtig geklappt damals. Dann kamen Gelegenheitsjobs, er fing eine Ausbildung zum Physiotherapeuten an, doch immer hatte ihm das Leben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bis er dann als Postkurier angefangen hatte. Und in gewisser Weise ist er dann immer Kurier geblieben. Selbst als das mit der Wohnung kam. Mietrückstand. Das Geld vom Zeitungsaustragen hatte nicht mehr gereicht. Ein paar Briefe, und dann kam auf einmal der Vermieter mit einem Räumungsbefehl. Da hatte er die Wohnung aufgeben müssen. Er hatte zwar  Bewerbungen geschrieben, aber nie Glück gehabt. Er packte alle Sachen zusammen, die auf das Rad passten, und fuhr hoch in den Bergpark. Zwar hätte er bei der Genossenschaft noch einmal nach einer anderen Wohnung fragen können, aber er hatte gleich in den Wald gewollt. Er hatte alles schon so kommen gesehen. Wer nicht auf den Kopf gefallen ist, und schon einmal über ein Leben in der Natur nachgedacht hat, schafft das.

Zuerst sucht man eine geschützte Stelle, die nicht leicht einsehbar ist. Denn was würde passieren, wenn dich jemand entdeckt? Dann muss die Stelle auf einer leichten Erhebung liegen. Das sollte dafür sorgen, dass das Regenwasser gut abläuft. Am besten sucht mal einen Raum, der zwischen ein paar kräftigen Bäumen liegt. Dann kann man mit Seilen eine große Plane als Dach befestigen. Als Unterlage muss man ein paar Spanplatten oder alte Teppiche besorgen. Alle Sachen muss man allerdings mit dem Rad transportieren können. Als Seitenwände kann man auch Planen verwenden. In mindestens eine davon muss ein Reißverschluss eingearbeitet werden, der als Eingang dient. Man beginnt damit, die Stelle freizuschneiden. Dann baut man aus kräftigen Ästen ein Grundgerüst, an das man die seitlichen Planen anbindet. Den Boden kann man mit Sägemehl bestreuen. Darüber legt man dann auch noch eine Plane, damit keine Feuchtigkeit von unten eindringt. Darauf kann man dann Gummimatten aus dem Baumarkt legen. Von außen gräbt man dann alle Planen ein, damit Wind und Regen keine Angriffsmöglichkeit haben. Drei mal drei Meter Grundfläche sollten reichen.

In die Behausung hat Konrad ein paar Sperrmüllhocker gestellt. Aus  Winkeleisen und Brettern hat er sich ein Regal gebastelt. Ein Stoß von Teppichresten dient als Bett, auf das er einige zusammengenähte Wolldecken legt. In die zusammengelegten Decken hat er einen Schlafsack gesteckt. Im Regal bewahrt er Grundnahrungsmittel auf: Löslicher Kaffee, Zucker, Tee, Milch, Schokolade und Tütensuppe. Aus alten Konservendosen hat er sich einen Kocher gebaut. Alle Lebensmittel sind in gelbe Säcke verpackt, ebenso die Kleidung, damit sie nicht vergammelt. Rehe und Wildschweine sind kein Problem. Die sind bloß neugierig und kommen zum schnuppern. Aber sehr schlimm sind die Mäuse, weil sie alles anknabbern. Die fressen auch Löcher in die Planen. Konrad hat bestimmt schon ein paar hundert Mäuse totgeschlagen. Es ist ihm egal, wenn die mit ihren Knopfaugen so schön gucken. Mit dem Brett eins drauf und Ruhe ist. Wasser gibt es an der Quelle.  Internet und Computer gewöhnt man sich als allererstes ab. Strom gibt es ja nicht. Geduscht wird im Schwimmbad, und weil niemand Konrad kennt, und die ihn kennen, nicht wissen, wo er wohnt, hat er seine Ruhe.

Konrad hat den Tag geschafft. Er ist mit ein paar Brötchen um fünf zurück. Die Kälte ist schlimm. Der Frost in den Füßen ist das allerschlimmste. Konrad öffnet den Reißverschluss und wirft die Brötchentüte in die Behausung. Die vier Teelichter haben das Wasser im großen Topf erhitzt. Konrad trinkt Tee, füllt seine Wärmflasche und kriecht in die Schlafsäcke. Bis zum nächsten Morgen ist Erholung.

Dem Text liegen Elemente aus einem Interview von Florian Hagemann mit einem ehemaligen Obdachlosen zugrunde (Aus HNA online vom 1.12.17.)
Namen wurden geändert.



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Lais
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Pickman
Geschlecht:männlichPlottdrossel


Beiträge: 2284
Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare


Beitrag10.01.2018 23:59

von Pickman
Antworten mit Zitat

Hi Christof,

Dein Text erinnert mich sehr an die sozialkritischen Werke deutscher Nachkriegsautoren, die wir in den 80ern im Deutschunterricht lesen mussten.

Das ist vielleicht gut; denn Du hast Chancen, dass Dein Text greisen Deutschlehrern gefällt.

Andererseits ist es schlecht; ich möchte meinen Deutschlehrer nicht, und ich mag es weniger beschreibend. In der Mitte des Absatzes mit dem 1,5er Abi bin ich ausgestiegen.

Dein Stil ist ambitioniert; aber ich stehe auf Sex und Gewalt oder zumindest Spannung und witzige Dialoge.

Mach Dir nichts draus. Ich bin wohl einfach nicht in Deiner Zielgruppe.

Cheers,

Pickman
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag11.01.2018 09:23
:)
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Gute Antwort! Das war ein Experiment!

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Lais
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Austrobass
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 56
Beiträge: 100
Wohnort: Weinviertel/Austria


Beitrag23.01.2018 10:50

von Austrobass
Antworten mit Zitat

Hi Christof,

mir gefällt Dein Text sehr gut. Ich mag den Rhythmus den Deine Texte (nicht nur dieser) haben. In die Figur des Konrad konnte ich mich gut hineinversetzen.

Der Absatz, in dem beschrieben wird wie Konrad in seine Situation gekommen ist könnte man mMn nach straffen bzw. fast ganz weglassen, das würde dem Text keinen Abbruch tun.

liebe Grüße

Martin


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Sharkop
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S


Beiträge: 28
Wohnort: München


S
Beitrag01.02.2018 18:27

von Sharkop
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Hallo Christof,

ich habe ziemliche Schwierigkeiten mit deinem Einstieg, samt dazugehöriger Logik bzw. Zusammenhang:
"Zu dieser Zeit kann man Konrad jede Nacht antreffen." Valenzgrammatisch betrachtet ist "antreffen" zweiwertig: Es fehlt ein "wo?".

"Vier Teelichter hat Konrad in seinem Zuhause noch angezündet. Die reichen für einen Topf." Warum weiß ich das jetzt? Die nächste Zeit ist nicht mehr davon die Rede.

Im Gegenzug ist mir"Fahrzeug", "Treffpunkt" und "Verteiler" zu vage, auch wenn zumindest mit Letzterem bald die Situation verstanden werden kann.

"Hinter dem hellen Oval des Scheinwerferlichts fährt Konrad die Häuser ab", war mir immer noch zu viel Phantasie meinerseits nötig und ich war raus. Bin aber ganz klar auch nicht deine Zielgruppe.

Also, die Idee mit unvollständigen Infos einzusteigen ist eigentlich gut, aber man müsste wohl das richtige Maß treffen. Ich maße mir nicht an, erklären zu können, was das richtige sei, mir war es deutlich zu viel Unklarheit/Undeutlichkeit.

Hoffentlich war das halbwegs nützlich.

vG
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