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Gast
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20.11.2017 21:45 Zeit-Logik-Problem in übersetztem Satz? von Gast
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Hallo zusammen!
In der heutigen Lateinstunde ist mir ein ins Deutsche übersetzter Satz aufgestoßen. Die Lehrerin und der Rest der Klasse halten den Satz für korrekt, ich nicht:
"Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen einer bitteren Niederlage beinahe nicht mehr existieren würde?"
Die Stadt hat doch demnach bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt existiert, unabhängig davon, ob die Niederlage schlimmere Auswirkungen gehabt hätte oder nicht. Nach meinem Verständnis beeinflusst die Vergangenheit hier höchsten die Zukunft, die Gegenwart aber bliebe unberührt.
Müsste es deshalb nicht eher heißen:
"Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen einer bitteren Niederlage beinahe nicht mehr existiert hätte?"
(Vielleicht habe ich aber auch einfach nur ein Brett vorm Kopf ... )
Wie seht ihr das?
LG
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2284 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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20.11.2017 23:41
von Pickman
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Hi ink_in_mind,
woher wusstest Du, dass ich auf Konjunktive stehe?
"Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen einer bitteren Niederlage beinahe nicht mehr existieren würde?"
Die Stadt existiert noch; denn sie wurde nur beinahe vernichtet. Die Nicht-Existenz ist also nicht geben - ein Fall für den Irrealis, also Konjunktiv II, der hier lautet: "existierte". Wegen des Identität mit der Indikativform darf man hier durchaus mit "würde" umschreiben. Nach meinem Dafürhalten liegen Deine Lehrerin und der Rest der Klasse nicht völlig daneben.
"Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen einer bitteren Niederlage beinahe nicht mehr existiert hätte?"
Auch das geht, aber der Satz hat jetzt eine andere Bedeutung. Er verweist auf eine Stadt, von der wir nicht wissen, ob sie jetzt noch existiert. "Existiert hätte" lese ich als Konjunktive II von "existiert haben". Der Zeitpunkt, an dem Deine Stadt mit Sicherheit noch steht, liegt in der Vergangenheit. Man kann das auf zwei Arten deutlicher herausstellen:
(a) Man setzt den Hauptsatz in die Vergangenheit: "Wusstet ihr den nicht, dass ..."
(b) Man gibt dem Nebensatz einen Zeitmarker bei: "... dass dieses Stadt ... damals beinahe nicht mehr existiert hätte."
Deine Mindermeinung ist also, so sehe ich das, nicht in sich widersprüchlich.
Entscheidend ist: wie lautet das Original?
Liebe Grüße
Pickman
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Stefanie Reißwolf
Beiträge: 1741
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20.11.2017 23:45
von Stefanie
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Doch, geht beides, je nachdem was man ausdrücken wollte.
Satz 1 > Die Stadt wäre jetzt nicht mehr da.
Satz 2 > Die Stadt wäre zu einem früheren Zeitpunkt untergegangen. Es ist unklar, ob sie jetzt noch da ist und welchem früheren Zeitpunkt es eine Rolle gespielt hätte, ob sie noch da ist.
So rein aus dem Bauch heraus gefällt mir der erste Satz besser.
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Gast
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21.11.2017 11:44
von Gast
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Hi ink_in_mind,
als ehemalige Lateinerin interessiert mich auch der Originalsatz. Eigentlich müsste der Sinn eindeutig aus der Verbform hervorgehen, oder?
Wenn du den Satz einstellst, versuche ich mal mein Glück .
LG
Katinka
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Merlinor Art & Brain
Alter: 72 Beiträge: 8676 Wohnort: Bayern
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21.11.2017 15:27
von Merlinor
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Hallo ink_in_mind
"Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen einer bitteren Niederlage beinahe nicht mehr existieren würde?"
Der Satz ist im Deutschen korrekt und ergibt eine klare Aussage: Die Folgen der "bitteren Niederlage" waren sehr gravierend und hätten beinahe dazu geführt, dass die Stadt heute nicht mehr existiert.
Ob er als Übersetzung dem ursprünglichen Sinn entspricht, lässt sich nur an Hand des lateinischen Originals feststellen.
LG Merlinor
_________________ „Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“
MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942 |
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Gast
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21.11.2017 17:59
von Gast
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Hallo liebe Leute!
Vielen herzlichen Dank für die tollen und teils sehr ausführlichen Antworten -- Klasse!
Trotz eurer Hilfe will der Satz für mich einfach nicht richtig sein(inhaltsbezogen) und ich habe das Gefühl, dass wir aneinander vorbei reden (was an mir liegt). Ich tue mich wirklich schwer damit, zu verdeutlichen, was ich meine ...
Hier ein zweiter Versuch:
Wenn ich sage, dass etwas nicht länger existieren würde, heißt das nach meinem Verständnis, dass es das bis hierhin aber tat.
Das Haus würde nicht länger existieren ... ---> Das Haus hat auf jeden Fall bis gerade eben existiert
Jetzt hänge ich das ausgelassene Ereignis X an:
Das Haus würde nicht länger existieren, da beinahe X passiert wäre. ---> Das Haus hat bis gerade eben existiert, auch wenn X passiert wäre
Nochmal zusammengefasst:
Für mich bedeuten die Worte, so wie sie da stehen, dass, egal ob die Niederlage schlimmere Auswirkungen gehabt hätte oder nicht, die Stadt bis gerade eben existiert hätte. Vielleicht täte sie es im nächsten Moment nicht mehr, doch bis gerade eben war das der Fall.
Will heißen: Während ich darüber plaudere, dass die Stadt beinahe nicht mehr existieren würde, da fast X passiert wäre, sage ich doch, dass, wenn X tatsächlich passiert wäre, die Stadt nun vor meinen Augen zerbröckeln müsste.
Oh Mann ... ich komme mir echt bekloppt vor ... aber wo ist hier der Fehler in meiner Logik? Das würde ich zu gerne wissen ...
Ach ja, da das Interesse des lateinischen Satzes so groß ist (auch wenn mir das bei meinem Logikproblem des übersetzten, vom Sinn her korrekt geltenden Satz nicht weiterhilft ):
"Nonne scitis hanc urbem calamitate atra paene non iam exstare?"
Nochmals vielen Dank, Leute!
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Gast
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21.11.2017 19:14
von Gast
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Also für mich ist das ein ACI mit einem Infinitiv Präsens (exstare) und beschreibt deshalb eine gleichzeitige Handlung. Deshalb werfe ich mal eine dritte Möglichkeit in die Runde:
Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen der finsteren Niederlage fast nicht mehr existiert?
Hab atra jetzt mal wörtlich übersetzt. Das Ganze einfach in einen Konjunktiv zu setzen, ist meiner Meinung nach schlichtweg falsch und du brauchst dir nicht das Hirn zu verbrutzeln.
LG
Katinka
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Gast
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21.11.2017 19:41
von Gast
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Ich wollte eigentlich sagen, dass die Niederlage/ das Unglück/ die Katastrophe jetzt gerade dabei ist, zu geschehen und die Stadt deshalb fast nicht mehr vorhanden ist.
Okay?
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Muskat Eselsohr
Beiträge: 343
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21.11.2017 19:57 übersetzen von Muskat
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Wenn ich auch kein Latein beherrsche, vielleicht hilft es beim Verstehen, wenn statt des Existierens das Wort "geben" eingesetzt wird.
... dass es die Stadt nicht mehr gegeben hätte.
Bezieht sich eindeutig auf die Vergangenheit.
... dass es die Stadt nicht mehr gäbe.
Der Bezug zur Gegenwart ist gegeben.
Beim "Existieren " müsste es also lauten: "Existierte".
Wie oben gesagt, wird vermutlich das "würde" genommen, um die Gleichheit mit der Vergangenheit auszuschließen.
Der Konjunktiv muss sein, weil es die Stadt ja gegenwärtig gibt.
Den Satz mit "fast nicht mehr existiert" zu übersetzen, hat meiner Meinung aber eine andere Bedeutung. Denn so klingt es, als bestünde die Stadt beinahe nur noch aus Ruinen.
Wie gesagt: Ich kann aber kein Latein.
Liebe Grüße
Muskat
Nachtrag: Meine Antwort überschnitt sich mit der vorherigen.
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Muskat Eselsohr
Beiträge: 343
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22.11.2017 13:02 Re: übersetzen von Muskat
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Zitat: | Will heißen: Während ich darüber plaudere, dass die Stadt beinahe nicht mehr existieren würde, da fast X passiert wäre, sage ich doch, dass, wenn X tatsächlich passiert wäre, die Stadt nun vor meinen Augen zerbröckeln müsste. |
Ich habe nun nochmal über dein Zeitproblem nachgedacht.
Ich meine, dass deine Annahme so nicht stimmt. Wäre X damals passiert, dann gäbe es JETZT die Stadt nicht mehr. Sie würde nicht GERADE vor deinen Augen zerbröckeln, sondern wäre DAMALS zerfallen.
X passierte, die Stadt zerfiel.
Da das aber nicht stimmt, muss der Konjunktiv hier eingesetzt werden.
Wäre X passiert, gäbe es die Stadt nicht mehr.
Ich bin nicht sicher, ob ich nun zur Klarheit beigetragen habe.
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Gast
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22.11.2017 18:57
von Gast
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Guten Abend zusammen!
Herzlichen Dank für die Antworten, Katinka und Muskat! Finde ich toll, das ihr euch so viel Mühe macht!
@Katinka
Ich wollte an dieser Stelle nochmals hinweisen, dass es für mich uninteressant ist, ob der Satz korrekt übersetzt wurde; mein Problem bezieht sich auf den für sich selbst stehenden Satz. Denn dieser wurde im Bezug auf die sprachliche und logische Richtigkeit abgenickt, und darum geht es mir.
Deinem Vorschlag, Katinka, wohnt mMn eine ebenso große Missverständlichkeit inne. Das diese tatsächlich vorliegt, hast du ja selbst mit dem nächsten Beitrag bestätigt (und Muskat auch).
Genau das ist es nämlich: jeder weiß zwar, was gemeint ist, doch ist das ganz einfach nicht das, was da steht.
@Muskat
Mit dem Wort "gäbe" hast du das Würde mit eingebaut, doch dieses Wort ist nicht das Problem. Es ist mMn die Kombination mit dem "mehr", für mich hier gleichzusetzen mit "länger" oder "weiter".
Zitat: | Ich meine, dass deine Annahme so nicht stimmt. Wäre X damals passiert, dann gäbe es JETZT die Stadt nicht mehr. Sie würde nicht GERADE vor deinen Augen zerbröckeln, sondern wäre DAMALS zerfallen. |
(Edit: hatte gerade nicht gründlich genug gelesen und die vorher dagewesenen zwei Zeilen entfernt.)
Ja, mein Beispiel mit dem Zerbröckeln ist auch etwas unglücklich gewesen, schließlich beschreibt das einen Zerfallsprozess, hier aber kann man sich lediglich auf die Existenz beziehen, also wäre es ein Zustand von jetzt auf gleich; andere Informationen stehen nicht zur Verfügung. Dennoch hätte sie bis JETZT existiert. Das Problem ist immer noch da und dem letzten Teil deines Einwands stimme ich nicht zu. Es steht immer noch nirgendwo, dass die Stadt DAMALS zerfallen wäre. Man kann sich nur aufs JETZT beziehen.
Vielleicht liegt alldem auch mein falsches Verständnis von dem Wörtchen "mehr" (wie gesagt, hier ist es für mich gleichzusetzen mit "länger" oder "weiter") zugrunde. Für mich beschreibt es hier eine Zeitspanne zwischen JETZT und Zukunft, doch eventuell erhebt das Wörtchen hier gar keinen solchen Anspruch, sondern kann sich sowohl in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegen und wird irgendwo dort durch die Interpretation des Lesers oder Höhrers gefestigt und bekommt erst dann Bedeutung.
Und wenn das der Fall ist, dann drehe ich mich mit meinem "Problem" im Kreis.
Nochmal ein herzliches Dankeschön und liebe Grüße!
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Muskat Eselsohr
Beiträge: 343
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22.11.2017 19:39 Zeitproblem von Muskat
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Hallo ink_in_mind,
nun ist mir klarer, wo dein Problem liegt.
Zitat: | Vielleicht liegt alldem auch mein falsches Verständnis von dem Wörtchen "mehr" (wie gesagt, hier ist es für mich gleichzusetzen mit "länger" oder "weiter") zugrunde. Für mich beschreibt es hier eine Zeitspanne zwischen JETZT und Zukunft, doch eventuell erhebt das Wörtchen hier gar keinen solchen Anspruch, sondern kann sich sowohl in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegen und wird irgendwo dort durch die Interpretation des Lesers oder Höhrers gefestigt und bekommt erst dann Bedeutung.
Und wenn das der Fall ist, dann drehe ich mich mit meinem "Problem" im Kreis.
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Ich denke, dass du das Wort "mehr" in dem Fall nicht durch "weiter" oder "länger" ersetzen kannst, wenn du sie wohl auch eher heranzogst, um dein Problem zu erklären.
Doch genau darin liegt vermutlich dein Denkfehler. Das Wort "mehr" kann eben auf Vergangenes bezogen werden.
Kleines Beispiel:
Angenommen, du wolltest die Stadt besichtigen, und sie wurde aber vor zehn Jahren zerstört. Dann erklärt dir dein Freund: "Die gibt es doch bereits seit 10 Jahren nicht MEHR!"
Die Aussage bezieht sich eindeutig auf die Vergangenheit.
Fiele die Stadt gerade im Augenblick in sich zusammen, wären "länger" oder "weiter" eher Synonyme für "mehr".
Liebe Grüße
Muskat
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Lorraine Klammeraffe
Beiträge: 648 Wohnort: France
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22.11.2017 21:39
von Lorraine
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Hallo,
Zitat: | "Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt wegen einer bitteren Niederlage beinahe nicht mehr existieren würde?" |
Diesen Satz würde ich folgendermassen übertragen:
"Wisst ihr denn nicht, dass diese Stadt aufgrund einer bitteren Niederlage beinahe aufgehört hätte, zu existieren?"
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Gast
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24.11.2017 08:49
von Gast
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Hallo Muskat, hallo Lorraine!
@Muskat Das ist es, denke ich! Hier lag also die ganze Zeit mein Denkfehler. :0 Vielen lieben Dank für deine Geduld!
@Lorraine Deinen Alternativsatz finde ich deutlich besser als das Original. Auch hätte ich hier nichts einzuwenden gehabt.
LG
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