Freilassung der Wünsche

[lilli.vostry]

Freilassung der Wünsche

Kastanien glänzen auf den Wegen
wie Erdaugen
einige noch in Stachelschalen
sammle sie auf
und lasse sie liegen
auf dem Küchentisch

sehe die Wellenlinien
Risse und Brüche
auf den Gehäusen
dieses Jahr war ich
nicht am Meer

paradox: wenn man seine Wünsche
loslässt
erfüllen sie sich
von selbst

[Babella]

Passt sehr schön in die Stimmung eines verregneten Oktobertags. Auf meinem Küchentisch liegen auch schon glänzende Kastanien, die mich angelacht haben auf einem Weg da draußen. Da berühren sich immer die Jahre: Oh, die Kastanien sind gefallen, jetzt ist es wirklich Herbst.

Ich würde hier noch ein bisschen verdichten. "Freilassung" klingt furchtbar bürokratisch. Vielleicht einfach "Loslassen"? Und anfangs vielleicht nur "sammle sie auf
betrachte sie auf dem Küchentisch"

Auch das "paradox" würde ich einfach weglassen. Das Paradoxe erschließt sich sofort. Wobei ... ans Meer fahren passiert ja doch nicht von selbst.

Mir gefällt die Betrachtung der Risse und Brüche, das melancholische Sinnieren über ein Leben, in dem halt nichts so glatt läuft wie die glänzenden Fundstücke es glauben machen. Und das erschreckte NichtamMeergewesensein.

Nur bleibt rätselhaft, welcher Wunsch genau sich von selbst erfüllte, nachdem er losgelassen wurde.

Bei manchen Wünschen ist das wirklich so. Aus anderen Wünschen muss man Pläne machen, sonst wird es nichts damit.

Gern gelesen
Babella

[Perry]

interessanter Ansatz, die Erfüllung eines Wunsch im Alltäglichen zu finden.
Konstruktiv würde ich über den Titel noch einmal nachdenken (zu sperrig)
und den Übergang von den Wellenlinien in den Bruchkanten der Kastanienhülle zum Meer noch etwas weiter auszuarbeiten.
LG
Perry

[lilli.vostry]

Liebe Barbella,

freut mich sehr, dass mein Herbstgedicht Dir gefällt.
Ja Kastanien verbindet man sofort mit Herbst, nun sind sie
schon wieder alle fort... Ich frage mich jedes Mal wohin...

Zu Deinen Anmerkungen:
Der Titel "Freilassung der Wünsche" war eine Eingebung und hab ihn
daher so genommen. Das Thema beschäftigt mich gerade sehr...

Ich denke vor dem Loslassen kommt das Freilassen, oder eben Freilassung.
Ja es klingt etwas formal, ist ja auch - für mich - eine rituelle Handlung.

Im Sinne von Freigeben, sich öffnen, Raum geben für Neues...
Dann ist es auch nicht mehr Paradox, wenn man Loslassen nur mit Weg- oder Aufgeben, Verlieren assoziiert, wie ich es lange tat.

Ja Wünsche gibt es viele, ich könnte eine lange Liste aufzählen und -schreiben... Doch macht das Sinn?

Ich lasse mich lieber vom Leben überraschen und vertraue darauf, dass die Wünsche, die keine Eintagsfliegen sind, immer wieder leise rufen und mich erinnern, sie zu erfüllen.

In dem Sinne.
Frohe Schreibgrüße und noch eine farbenfrohe Herbstzeit,

Lilli

[lilli.vostry]

Hallo Perry,

freut mich, Deine Lesart des Gedichts - die Wünsche im Alltäglichen zu finden.

Zu Deiner Anmerkung: von den Wellenlinien zum Meer die Stelle noch etwas
auszuarbeiten...

Ich weiß im Moment nicht wie.

Sie erinnerten mich einfach daran und trösteten mich, dass ich dieses Jahr
nicht am Meer sein konnte. Mit den Wellenlinien auf den Kastanien rückte es auf
einmal näher...

Und das ist auch ein Wunsch, dort wieder zu sein...

Viele Grüße,
Lilli