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Lebendiger schreiben: Wechsel von Handlung und Dialogen

 
 
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BerndHH
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Beitrag22.10.2017 14:53

von BerndHH
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Moin zusammen,

Das ist natürlich absolut wahr und selbst ich sehe das natürlich auch ein.
Der große Volksschriftsteller Konsalik würde sich niemals in einem Ozean aus “Infodump” und in den Feinfascetten des Settings verlieren, so wie ich das tue.
Er steigt direkt in die Handlung ein und lässt die Figuren auf teils satirische, teils humoristische, teils aber auch bedrückende Art und Weise handeln. Die Charakterzüge der Personen ergeben sich direkt aus ihren Handlungen.

Zitat:
Fritz Leskau, Unteroffizier. 14 Tage Heimaturlaub. Theo Strakuweit. Obergefreiter. 2 Monate Anschlussurlaub wegen Gelbsucht. “Hat zu viel gefressen, der Kerl!”, schrie der Kunze, als nach einer Woche Überfälligkeit von Strakuweits Urlaub die Meldung durchkam, dass der Obergefreite erkrankt sei und für 2 Monate in der Heimat bliebe. “2 Monate” tobte Kunze. “Da geht der Sauhund auf Urlaub, frisst sich dick, bis die Galle platzt und hökert jetzt 2 Monate in der Heimat herum, während wir hier von Feinden umgeben sind und unser Leben einsetzen!” Er warf sich in die etwas verfettete Brust und sah um sich. Der Ia-Schreiber sah ihn pflichtbewusst mit heroischem Blick an. “Ich werde dem Strakuweit zeigen, was es heißt, den Endsieg zu sabotieren. Lass ihn nur erst wieder hier sein!”


Zitat:
”Simpelmeier!” Der Ia-Schreiber schnellte empor. “Herr Hauptfeld?” “Ich gehe hinüber zur Feldküche und kontrolliere den Frass. Wenn jemand anruft, holen Sie mich!” “Jawoll!” Kunze nahm seine Mütze von einem Nagel, den er in die Holzwand geschlagen hatte und der als Garderobe diente. Er setzte sie auf, kontrollierte mit der flachen Hand, ob die Kokarde richtig saß, an der verlängerten Mittellinie der Nasenwurzel, und stampfte aus dem Zimmer. Simpelmeier seufzte auf und setzte sich wieder. Was macht der bloß, wenn es wirklich einen Rabatz gibt, dachte er.


Zitat:
Leskau lächelte schwach und sah in Inges braune Augen. “Es war ein kurzer Urlaub, Inge.” “Zur kurz, Fritz. Was sind 14 Tage nach 2 Jahren? Wir hatten gerade begonnen, uns daran zu gewöhnen, dass wir nicht mehr Kinder sind, sondern erwachsene Menschen … da sagtest du: Inge, morgen fährt mein Zug. Zurück nach Russland …” Leskau sah über Inge hinweg auf den wimmelnden Bahnsteig. “Es war gestern Abend … draußen am Pregel … die Sonne ging unter wie Blut …” “Und dann sagtest Du etwas sehr Hässliches. Weißt du es noch?” Fritz Leskau nickte: “Ich sagte: Zurück zum Sterben – “ Durch Inges schmalen Körper zog ein Frieren. Sie lehnte den Kopf an Leskaus Brust und schloss die Augen. Ihre Stimme war ganz klein, ganz kläglich.  


Quelle: Heinz G. Konsalik: Die Rollbahn. Neuer Kaiser, 2004 (Original: 1958), S. 6, 7, 13. ISBN 978-3704313256.

Konsalik schreibt seine Romane meist in einem einzigen Textblock, ohne Kapitel, ohne eingerückte Zeilen, ohne kursive Schriftarten, ohne große Erklärungen oder sonst etwas in einem Guß.
Dagegen sind meine Dialoge natürlich so richtig grottenschlecht.
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Zitat:
„Klaus, Moin erst mal! Komm rein. Gut, dass Du da bist, ich habe schon auf Dich gewartet. Setz Dich.“ Mit kantig ungelenken Bewegungen nahm er auf dem Besucherstuhl Platz. Generalmajor Steinkühler war kein Mann der großen Worte. Er tippte sich nur kurz an sein grünes Barett, welches auf seinem kurzgeschorenen Kopf wie ein fester Bestandteil des Körpers klebte. Trotz Haarerlass ging der Trend wieder eindeutig in Richtung Stoppelputz der Marine-Ledernacken. Die Stoppeln glatt nach hinten gekämmt, die Seiten halb kahl geschoren und auf dem Oberkopf nur noch eine kleine Bürste. Koteletten nur bis zur Mitte des Ohres. von Ortega nickte Steinkühler zu. Es war nicht ihre erste Unterredung. Die beiden kannten sich schon seit einer halben Ewigkeit und hatten damals zusammen die Offiziersschule des Heeres in Hannover-Bothfeld besucht. „Apfelsaft oder Sprudel?“ „Nein danke. Ich nehme nur einen Kaffee. Schwarz mit viel Zucker, Henning.“ Klaus-Christoph Steinkühler dachte wehmütig an die schönen Zeiten vor drei Jahren zurück, als er noch im Rang eines Oberst die Panzerbrigade 14 „Hessischer Löwe“ in Neustadt befehligen durfte. Wehmut und Nostalgie vom olivgrünen Leben an der Basis der Kampftruppe und von der einfachen und kernigen Zeit im Busch der Kassler Berge. Ein Leben, so wie es noch im aktuellen Bundeswehr-Lehrfilm über die Panzertruppe dokumentiert wurde. Für ihn blieben es Worte für die Ewigkeit. KpFü-Unterricht, zusammen mit den Zugführern. Das bullig gedröhnte „PANZER MARSCH!“, wie einst beim alten Guderian. „Sie sind mit einem Panzerzug gemeinsam bis auf den Waldrand vorgekommen und haben den Auftrag, über die freie Fläche Richtung Schwalmstadt anzugreifen! Funkbefehl des Kompaniechefs: Panzerzug Stellung! Panzergrenadierzug weiter Marsch! Was befehlen Sie als Zugführer?“ „I. Zug, 12 Uhr Kette. Marsch, Marsch! Ende“ „Leutnant Säckle, SPzs bis auf diese Höhe vorziehen!“ Und anschließend wandte sich der Kompaniechef an alle: „Sie sind mit dem Panzergrenadierzug bis hierhin vorgekommen und erkennen am gegenüberliegenden Waldrand (Achtung, am Waldrand klebt Scheiße!) Abschüsse und Einschläge direkt neben Ihren Schützenpanzern. Was befehlen Sie als Zugführer?“ „Erster Zug Halt!!! Nebeln! Rückwärts, Marsch, Marsch!“ Und dann die Frage an die Offiziere und Unteroffiziere: „Welche Möglichkeit haben wir den Feind am Waldrand auszuschalten?“ „Durch Unterstützung anderer Waffen!“ – typisch Unteroffizier „Kackstiefel“ Becker. „Unterstützung durch eigene Panzer!“ „Durch eigene Panzermörser.“ und „Durch die eigene Artillerie!“ Doch diese Zeiten waren nun vorbei. Er hatte von  Generalmajor Wolfgang M. erst im April dieses Jahres die 6. Panzergrenadierdivision mit großem Zeremoniell übernommen. Und jetzt musste er eben seinem alten Freund Henning regelmäßig Rapport erstatten.


Zitat:
„Was ist mit bebautem Gebiet?“, fragte Steinkühler langsam und vorsichtig. „Auch das werden wir selbstverständlich nicht ausnehmen. Ortschaften sind auf natürliche Weise mit in das Verzögerungsgefecht einzubinden. Schlimmstenfalls, und wenn wirklich alles andere schief geht, dann werden wir natürlich um jede beschissene Hütte kämpfen müssen wie damals um Stalingrad…“ „Du weiß aber schon was das bedeutet?“ „Ich weiß, Klaus.“ von Ortega sah mit traurigem und wehmütigem Blick aus dem beschlagenen Fenster hinaus auf die hohen Rotklinkerbauten der Eiderkaserne, die mit ihren schmalen Türmen im Spätsommerlicht blinkten. Von irgendwo her waren zwitschernde Mauersegler- und Schwalbenschwärme unterwegs, die unterhalb der Dächer im Kunstflug nach Insekten schnappten. Seine Augen schweiften über das Mannschaftshaus von 1906, das dahinterliegende vornehme Offiziersheim, die Hangars und Schleppdächer für die Kettenfahrzeuge und den Appellplatz, wo jetzt ständig Bewegung, Druck, Drall und Drill herrschte. Eine Kompanie Rotärsche, Rekruten – Fernmelder, noch mit Schiffchen als Kopfbedeckung, wurden von ihren Ausbildern gerade im Formaldienst rundgemacht. „Ohne Tritt Marsch! Vorne kürzer!! Vorne halt! Rechtsum machen! Was machen Sie falsch, was alle anderen richtig machen? Mir platzt gleich der Arsch, dann fliegt hier aber die Scheiße! Ich zieh Euch die Ärsche über die Ohren, dann seht Ihr aber aus wie die Kapuzinermönche!“


You know what I mean?


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BerndHH
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Beitrag23.10.2017 07:42

von BerndHH
Antworten mit Zitat

Und hier der versprochene Text:

Die denkwürdigen Abenteuer des Fiete Harms

ERSTES KAPITEL

Freitag, der 25. Oktober 1985.
Über Kiel-Gaarden spannte sich ein hellgrauer Himmel, der an die Hautfarbe einer Wasserleiche erinnerte. Es war jetzt 10 Uhr und begann sich einzuregnen.
„Marleeeen, eine von uns beiden muss nun gehen‘, Marleen, drum bitt' ich dich, geh du, Marleen. Dein Haar glänzt wie ein Sternenzelt, dein Mund ist die Versuchung selbst, aha.“, sang Marianne Rosenberg aus einer Wohnung vom 4. Stock. Die Musikanlage, wie immer bis zum Anschlag aufgedreht. Gnadenlos beschallte die melancholische Stimme der Schlagersängerin mit den modisch geföhnten dunklen Haaren die Mietskaserne. Im dritten Stock flog eine Tür auf. Ein junger Mann erschien, dessen Schritte laut und kräftig durch das Treppenhaus des alt-ehrwürdigen Wohnhauses in der Kaiserstraße Nummer 69 polterten. Im Erdgeschoss angelangt, erschlug ihn fast der penetrante Gestank von Schweinebauch und Kohl. Draußen vor der Tür zündete er sich als Erstes genüsslich eine Zigarette an. Prince Denmark. Tief inhaliert. Er hatte seinem Vater 20,- Mark aus der Schmalzdose genommen und musste jetzt bei Aldi ordentlich nachlegen: Stange Prince  - langt wohl nicht - und eine Palette Karlsquell Edel Pils, um wieder in Stimmung zu kommen. Dann würde er im Park erst einmal den Auftakt des Wochenendes feiern. So wie gestern aber diesmal ohne Bad Oldesloer Korn. Auf gar keinen Fall! Der hatte ihm nämlich fast die halbe Hirnlade ausgehebelt und heute Morgen musste er reihern, wie ein Schauermann von der Waterkant. Aber dafür war der Rest einfach nur oberaffentittengeil gewesen.

„Vergiss nicht, dass du um 12:00 beim Amt sein musst!“, grölte sein Vater vom Fenster hinunter. Noch hatte er anscheinend nicht bemerkt, dass sein Sohn ihn 20,- Mark geklemmt hatte.
Fiete Harms machte einen Stinkefinger, jedoch so, dass es Hein nicht bemerken konnte. Heute würde es so oder so wieder Schläge geben.

Als er in die Augustenstraße einbog, kamen ihm immer wieder lebende Tote entgegen. Alles ehemalige Werftarbeiter, so wie sein Vater von der Howaldtswerft oder Howaldtswerke-Deutsche Werft AG, wie Kiels größter Arbeitgeber offiziell hieß, deren einziger Lebensinhalt jetzt daraus bestand, zu Aldi zu schlurfen, die „Stütze“ in Karlsquell und Zigaretten umzusetzen, sich dann vor den Fernseher zu setzen und auf eine baldige Erlösung durch ein vorzeitiges Ableben zu hoffen.
Fiete Harms war noch nicht so weit. Er war doch erst neunzehn Jahre alt und hatte schon fünf abgebrochene Lehren hinter sich. Maler und Lackierer -  schön und gut, aber ganz bestimmt nicht mehr nach der zweiten Palette Karlsquell. Karlsquell Edel Pils war seine Religion. Du sollst nur einen Gott und keine anderen Götter neben mir haben! Eine weiße Büchse mit blauer Applikation und noblem Wappen. 0,33 Liter himmlischer Genuss Premium-Qualität. Es war dem rothaarigen Jungen mit dem Wuschelkopf und den vielen Pickeln im weißen Gesicht schon immer völlig schleierhaft und unverständlich gewesen, warum ungebildete Leute diese kolossale „Hopfen-Kaltschale“ nur respektlos „Aldis Rache“ nennen konnten! Für ihn war das reine Blasphemie!

An der Kasse des Discounters ging es flott wie immer.
„Fuffzehn Määk fuffich!“, schnarrte der Kassierer. Leider nicht die Olle mit den dicken Hupen, dachte Fiete enttäuscht und hätte am liebsten auf den Boden gespuckt. Scheiße, wo ist die Olle? Er war, seitdem er aufgestanden hochsensibel für diese Details, denn er war mächtig notgeil. Der Suff, beziehungsweise der brandige Tag danach, machte ihn immer riemig wie einen Ziegenbock. Unerträglich. Sämtliches Blut war in den Schwanz gewandert. Es war genauso wie Christiane F. vom Bahnhof Zoo schrieb: „Am schlimmsten sind die Alkis. Ganz anders als wir Drogis. Immer wenn die Alkis gesoffen hatten, mussten sie ficken. Sie mussten einfach! Mir taten die anderen Mädchen immer leid, die sich dieser Kerle nicht mehr erwehren konnten. Monis Stöhnen und Seufzen ließen mich die ganze Nacht nicht schlafen.“
„Was willst du grad von diesem Mann, wo du so viele and're haben kannst? Ist er nicht nur ein Zeitvertreib für dich? Ich hab nur einen Mann, hmmmm. Lässt du ihn gehen irgendwann, hmmmm, so wär er doch verloren für mich.“ Marianne, oh ja, lass es uns tun!
„Ein Teil von ihm gehört schon dir, doch ehe ich ihn ganz verlier', aha, bitte hör mich an, hör mich an, Marleen, Marleen!“

10:30 Uhr. Fiete hatte es doch tatsächlich geschafft, die Palette unfallfrei vom Aldi in der Augustenstraße in den Werftpark zu bringen. Der Werftpark, eingebettet zwischen Werftstraße und Ostring, hatte seine besten Zeiten schon längst hinter sich gebracht. Die Spaziergänger und die Verliebten waren verschwunden, dafür hatten sie den Alkoholikern, die hier ihren Frühschoppen zelebrierten und den Heroin-Junkies Platz gemacht. Seit kurzem hatten auch die Stricher hier ihr Revier entdeckt.
Auf der Bank vor dem Kinderspielplatz war Fiete mit seiner Freundin Svenja verabredet. So wie die letzten Monate auch. Sie saß bereits da und rauchte mit hektischen Zügen eine Zigarette. Svenja Thomsen war nur ein Jahr älter als Fiete Harms. Eine hübsche Blondine mit kurzen Haaren, guter Figur – sie machte 3x die Woche Aerobic und konnte sich lasziver dehnen als Jane Fonda - Lederjacke mit Nieten, Minirock im Vorwinter und verführerischen Netzstrümpfen, deren Wirkung Fietes Hose sofort wieder unangenehm anspannen ließ.
Ein Kuss auf ihren Hals. Sie war jedoch abwesend und blies den Rauch in eine andere Rich-tung.
„Hallo Hase, na?“ „Na was?“ Sie sah kritisch an ihm herunter. „Und was ist das schon wieder?“ Fiete zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. „Na hör mal. Muss doch heute zum Arbeitsamt und das ist mir Motivation genug“ Er raschelte demonstrativ mit der blau-weißen Aldi-Tüte, fischte sich eine Büchse Karlsquell heraus und leerte sie in einem einzigen Schluck. Bierschaum stand ihm auf dem Oberlippenbart. Doch Svenja machte keinerlei Anzeichen, ihm diesen abzulecken.
„Sag mal, hast du jetzt komplett den Arsch offen?“ Fiete staunte sie wie ein VW Käfer mit aufgeblendeten Scheinwerfern an. Er war diesen Ton von ihr nicht gewohnt.
„Du hast einen Termin beim Arbeitsamt. Bei Herrn Potthast. Um 12 Uhr. Hat dein Vater mir gesagt. Und was machst du? Du kippst dir diese Scheiße rein! Menschenkinders, ist dir deine Zukunft wirklich so scheißegal?“
Sie war jetzt in Rage und Fiete tat gut daran, nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Doch er konnte sich nicht auf ihre wütenden Worte konzentrieren. Alles, was er wollte, war mit ihr ins Gebüsch zu springen und eine Runde zu bumsen. Rein, raus – Schuss und Spannungsabbau! So wie sie es früher oft getan hatten.
Doch heute keine Chance. Svenja hatte ihre halb gerauchte Zigarette auf den Boden geworfen.
„Weißt du was? Ehrlich gesagt, geht mir das so langsam am Arsch vorbei, dass du dein Scheißleben in die Mülltonne wirfst! Aber nicht mit mir, mein Lieber! Ich hab‘ immerhin meinen Job im Altenheim, bekomme gute Kohle und werde mir bald eine kleine Bude gönnen können. Aber glaub ja nicht, dass du dann bei mir angekrochen kommen kannst. Denkst du wirklich, ich möchte noch länger mit einem Penner zusammen sein? Ach leck mich doch am Arsch!“
„Aber Svenja, Bärchen …!“
Zu spät. Sie war auf dem Absatz umgedreht und war in Richtung St. Annen-Altenheim entschwunden.
„Sie ist so kalt. Ihr Parfüm füllt den Raum bis der … der Nacht und ich weiss, du wirst ihr nicht widersteh'n. Wenn sie aufsteht und langsam die Lichter ausmacht und dich bittet, mit ihr hinüber zu geh'n. Sie ist kalt, ja so kalt doch im warmen Raum merkst du es nicht aber bald, aber bald weicht die Nacht dem Tag und dem neuen Licht Uuuuhuu uuhuu huu uuuh huuu ...
Die dunkle Marianne flüsterte Fiete ins Ohr: „Dann stehst du dort, spürst ihre Haut und sie wird dich so wie jeden verführ'n – aaah. Sie ist kalt, ja so kalt…“

11:00. Fiete sitzt in der Straßenbahn. Richtung Altstadt und Kieler Schloss. Kurz vor dem Skandinavien Kai steigt er aus. Sein Schwanz will unbedingt in die Flämische Straße, Kiels kleinen Rotlichtbezirk. In der „Tränke“ ordentlich mit Flensburger Beugelbuddelbier  - seine Palette Karlsquelle hatte er in einem absolut diebstahlsicheren Versteck im Werftpark deponiert – für später aber jetzt war jetzt – einen reinlöten und dann ab ins Eros-Center, Laufhaus, im Paschas – boah ey die kleine Schwatte, oh Mann-do-Mann! Ein Griff in die Hosentasche überzeugte ihn dann, dass er für dergleichen Vergnügungen keine Mark auf der Naht hatte.

Also wieder in die Straßenbahn. Dieses Mal zum Wilhelmplatz. Arbeitsamt. Herr Potthast, Sachbearbeiter A – K. Eine hübsche Brünette saß ihm im Waggon gegenüber. Sie schaute die ganze Zeit konzentriert in die andere Richtung, um ja den Blickkontakt mit ihm zu vermeiden. Der Ständer gab den Takt an: c’mon honey, let’s do it! Making love oh yeah … ficken, bumsen, blasen, alles auf’m Rasen. Das Mädchen konnte anscheinend erahnen, was Fiete gerne mit ihr machen würde. Sie war nervös und nestelte hektisch in ihrer Tasche herum. Bei der nächsten Haltestelle – Sophienblatt – sprang sie raus. Darling, es hätte uns beiden gut getan. Verdammt gut! Dir sowie auch mehr. Sex um die Mittagszeit – etwas Besseres gibt es nicht! Es würde auf der Welt keine Kriege, keine Konflikte zwischen Männern mehr geben, wenn die Frauen dieses Planeten endlich aufhören würden, ihre Vagina so vehement vor den Freuden dieser Welt zu entsagen. Sagt der Sozialismus nicht, man solle auch die die Frauen „vergesellschaften“ oder wie war das?Ach Scheiße!

„So, so, Sie haben also nichts gefunden, Herr…äh?“
„Harms. Fiete Harms.“
„Fiete, das ist doch kein Name, Mensch. So heißt mein Hund! Fiete kommt von Friedrich?“
„Das weiß ich doch nicht, Herr Potthast. Ich heiß nun mal so und basta!“
Herr Potthast, Sachbearbeiter A – K. Arbeitsamt Kiel-Mitte musterte ihn wie einen Mistkäfer, der gerade aus dem Kuhstall gekrochen kommt. Die Brille auf die Nasenspitze geschoben und mit der Hand über das schüttere Haar gestrichen.
„Warum also mussten Sie beim Maler- und Lackiererbetrieb Buurmeesta aufhören?“
Fiete fummelte sich in seiner Jeansjacke herum, zog seine Schachtel Prince heraus und zählte seine Zigaretten durch. [i]Scheiße, für ‘ne Stange hat es mal wieder nicht gereicht! FUCK – und jetzt? Vaddern und Oppa haben auch nie Kippen im Haus. Da muss ich nachher unbedingt zu Henning.

„Keine Ahnung. Der Chef war halt ein Riesenarschloch … mehr möchte ich dazu auch nicht sagen!“
Der Bürostuhl, auf dem sich Werner Potthast zurückgezogen hatte, knarrschte laut auf. Eine Weile sah er sein Gegenüber eindringlich in die Augen. Dann schlug er mit der Hand laut klatschend auf den Schreibtisch, so dass Fiete zusammenzuckte.
„Jetzt ist aber gut hier! Wenn Sie nicht mit uns kooperieren wollen – etwas Ähnliches kennen wir ja schon von Ihrem alten Herren – dann wollen wir doch mal sehen, was Sie dann sagen, wenn wir Ihnen die Zuwendungen kürzen. Gut, ich will kein Unmensch sein.“
Er schob einen Zettel mit einer Anschrift über den Schreibtisch, auf dem eine Kaffeetasse und eine Mineralwasserflasche standen, hinüber.
„So, das ist die Adresse vom Fleischzerlegebetrieb Eberhard Twesten KG. Ich kenn den Juniorchef übrigens. So, und da stellen Sie sich noch HEUTE – haben Sie das verstanden HEUTE und nicht morgen, übermorgen oder sonst wann, noch vor. Und zwar in anständigen Klamotten. Ohne Jeansjacke und diese ekelhaften Gammlerklamotten. Mensch, Sie sehen ja vielleicht verboten aus. Machen Sie aus sich erst einmal einen anständigen Menschen! Gehen Sie zum Friseur. Baden Sie sich. Heißes Wasser und Kernseife, können Sie mich verstehen? Haben Sie nicht einmal einen Konfirmationsanzug! Der Spaß ist nämlich vorbei, mein lieber Freund. Bei Twesten wird man Ihnen schon die Flötentöne beibringen. So, und jetzt gehen Sie mir aus den Augen!“
Das wäre nirgendwo anders möglich gewesen. Arbeitsamt Kiel. Wilhelmplatz. Werner Potthast, Sachbearbeiter A – K – das war Potthast!

Arschlecken hoch Amerika! Scheiß doch auf Twesten! Der kann mich mal! Und Potthast sowieso! Was für ein Arschloch! Wenn das die Brüder wüssten, dachte Fiete, als er sich zu Fuß auf den vier Kilometer langen Heimweh zurück in den Werftpark machte. Home is where the heart is. Und das ist ganz bestimmt bei meinem geliebten Karlsquell!
Der Termin bei Potthast eine Katastrophe, die Aussicht auf eine Anstellung bei Twesten eine Lebenslüge und Svenja weg. Aber zumindest waren die Karlsquell-Dosen noch da. „Es gibt also noch einen Gott“, murmelte er dankbar.

„Denim and Leather brought us all together. It was you that set the spirit free!“, hämmerte der Hardrockrythmus der britischen Band Saxon. Kutten, Leder und chromblitzende Maschinen. Harley-Davidson. Es waren Henning und seine Angel-Brüder. Sie hatten mehrere Kästen Bier aufgestapelt und genossen die Herbstsonne bei kerniger Musik.
„Fiete! Eeey Fiete! Los, du Lappen, komm‘ mal rüber!“, brüllte Henning und ließ eine Bierdose auf dem Asphalt des Parkwegs schäumend aufplatzen.
Fiete schlenderte hinüber und gab jedem die Hand. „Das ist mein Kollege. Mit dem bin ich so!“ Demonstrativ rammte Henning seine linke Faust – nur die Linke und die auch nicht mit voller Kraft – in Fietes Magengrube, so dass dieser zusammenklappte und nach Luft schnappte.
„Was‘ los mit dir, du olle Puschmütze?“ Er zog den Jungen wieder hoch. „Du bist doch keine Puschmütze, oder?“ Fiete schnappte immer noch nach Luft.
„Yo, datt is mein Bro‘!“ Die anderen schlugen Fiete auf die Schulter, so dass er wieder zusammenzubrechen drohte.
„Was‘ los mit dir, Digger? Du bist ja noch nicht einmal richtig voll? Da ham‘ wa heute wohl unsere Tage, was?“, dröhnte Henning. Sein Atem war eine übelkeitserregende Mischung aus Marlboro, Lakritz, Bier und Korn.
„Du bist doch wohl keine Puschmütze, oder?“, flüsterte er ihm ins Ohr, so dass Fiete auf einmal eiskalt ums Herz wurde.


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Christof Lais Sperl
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Beitrag23.10.2017 08:06
Amüsant
von Christof Lais Sperl
Antworten mit Zitat

Ein schneller, rasender Text, der nicht langweilig wird. Schön flapsige Sprache, hat mir gefallen. Zunächst ging es ja um die Abwechslung von direkter Rede und Handlung. Dazu fiel mir ein, dass Sven Regener diese Werkzeuge phänomenal gut beherrscht.

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nothingisreal
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Beitrag23.10.2017 08:45

von nothingisreal
Antworten mit Zitat

Hallo BerndHH,

ich finde, dein Text liest sich sehr gut. Du hast einen eigenen Stil. Ich könnte weder so schreiben, noch würde ich lange so ein Buch aushalten, aber jedem das seine.

Zu deinem eigentlichen Problem wurde schon was gesagt.


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BerndHH
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Beitrag23.10.2017 12:33

von BerndHH
Antworten mit Zitat

Moin zusammen,

besten Dank für Eure freundlichen und aufmunternden Kommentare.
Es wird auf jeden Fall weitergehen. Ich muss mir nur überlegen, was ich mit Fiete Harms mache.
Bislang ist er ja nur ein tumber und schwanzgesteuerter "Asozialer", der den ganzen Tag lang säuft, rumhängt und dazu auch noch mit den Hell's Angels kriminelle Freunde hat. Sympathiepunkte hat er bislang noch nicht gesammelt.
Muss mal sehen wie er die Kurve kriegen soll. Sein Bruder Malte ist nämlich genau das Gegenteil: ordentlich, fleißig, verheiratet, 1 Kind, schmucke Reihenhaushälfte in Lübeck-Bad Schwartau, aufstrebende Leutnant beim Bundesgrenzschutz - nur um Vaddern und Oppa kümmert er sich nicht, das muss Fiete machen. Der hat ja eh nix Besseres zu tun.

Ich werde die beiden demnächst in einem scharfen Dialog gegeneinander antreten lassen. Und sei es nur, um das Zusammenspiel von wörtlicher Rede, innerem Dialog und "Handlungstext" weiterhin zu üben.

Sven Regener: Neue Vahr Süd ist übrigens ein sehr guter Tipp!! Sollte ich mir auf jeden Fall zulegen. Der Roman spielt ja genau in der Epoche, in der ich mich auch herumtreibe.


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BerndHH
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Wohnort: HH


Beitrag24.10.2017 05:39

von BerndHH
Antworten mit Zitat

Da es ja nicht nur um Dialoge geht, wird die Geschichte demnächst in der Werkstatt Prosatexte fortgesetzt.

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