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Kratom


 
 
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Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag02.06.2016 18:27

von Leveret Pale
Antworten mit Zitat

Zitat:
ich habe bisher jeden deiner Kommentare mit Genuss gelesen. Klug, gut geschrieben und mit einer gewissen Ironie ( ....so kommen sie bei mir an). Wenn ich dein Alter sehe, wird mir fast schwindlig. So war ich gespannt, einen Text von dir zu lesen.
Ohne Scheiss, ich bewundere dich. Ist keine Lobhudelei...... Du kannst schreiben, wie ich es kaum je werde können.

 Embarassed Vielen Dank. So viel Lob macht mich fast verlegen Laughing Allerdings bekomme ich es oft, nicht nur hier im Forum, aber das sorgt nicht dafür, dass ich den Boden unter den Füßen verliere. Mich nagen noch genug Selbstzweifel, wie wahrscheinlich jeden Schriftsteller, und da hilft alles Lob der Welt (zum Glück?) nicht.

Und meine Schreibfähigkeiten haben viel Übung und Anstrengung gebraucht, um auf mein jetziges Level zu kommen, aber ich bin noch immer nicht zufrieden damit. Wenn du dich ins Zeug legst, kannst du mich vielleicht sogar noch überholen.
Zitat:
....... trau mich kaum etwas zum Text zu sagen. Subjektiv wahrgenommen, sind da manchmal etwas Längen drin.
Beim Reinstellen eines längeren Textes, wäre es vielleicht nicht schlecht Abschnitte zu machen, da einfacher für das Auge. Das Thema ist etwas exotisch, doch die eingestreuten Querbezüge zu Literatur und zum Schreiben geben einen Halt, auch wenn man sich nicht spezifisch für die Wirkung von Kratom interessiert
.
Der Text ist bewusst relativ langatmig (wobei ich gerade daran bin es zu feilen), da der Stil an Thomas de Quinceys "Bekenntnisse eines englischen Opiumessers" angelehnt ist und der Typ hat ziemlich ausschweifend geschrieben. Im Prinzip geht es mir in den Text auch nicht explizit um die Wirkung von Kratom, sondern um die Gefühlswelt des Charakters und der Erkenntnis, dass Drogen keine Antworten liefern können, auch wenn wir sie gerne romantisieren.

Das mit den Absetzen habe ich leider verhauen, weil ich es direkt aus dem Manuskript meiner kommenden Anthologie kopiert habe und dabei hat es die Formatierung nicht korrekt übernommen. Sorry dafür.

Zitat:
Frage: Eigenerfahrung? ( ...Rhetorische Frage.. Mr. Green )

Jaein. Ich bin prinzipiell Abstinenzler, trinke nicht einmal Kaffee und weiß nicht wie Bier schmeckt, aber ich hab eine Hass-Liebe zu psychoaktiven Substanzen. Vor ungefähr einem Jahr hab ich aus Zufall, unbeabsichtigt einen psychoaktiven Tee geleert, der wohl für mehrere Personen bestimmt war. War eine ziemliche Überdosis. Die Folge war ein verdammter halluzinogener-Nahtoderfahrungs-Trip. Das hat mich ziemlich erschüttert, aber es hat mich grundlegend verändert. Davor war ich eher ein unterdurchschnittlicher Taugenichts, aber während dieser Erfahrung, die mich wahrscheinlich durch mehr Sphären gekickt hat als selbst Cuthulhu bekannt sind, hat mir irgendetwas (?) gesagt, dass mein Talent und meine Zukunft im Schreiben liegt und das der einzige Grund ist, warum ich nicht gestorben bin: weil ich eben noch etwas schreiben muss. (mir ist klar, dass das nur Projektionen meines Unterbewusstseins waren, ausgelöst durch eine Stimulierung von Noradrenalin und Serotonin-HT2a-Rezeptoren im Thalamus. Ich glaube nicht an Metaphysik, aber so hat sich die Erfahrung angefühlt) Ich habe es ausprobiert und nach einem Roman und unzähligen Kurzgeschichten in einem Jahr muss ich feststellen, dass es wahrscheinlich zutrifft. Aber weitere Rauscherfahrungen spare ich mir. Ich finde psychoaktive Substanzen (genauso wie Psychologie, Neurologie und Pharmakologie) hochinteressant und habe auch zwei Sachbücher dazu verfasst (eins zu Kratom und eins zur HBWR), aber vor praktischen Anwendungen lass ich generell die Finger. Zu paranoid, zu traumatisiert vom ersten Mal. Drogen haben mein Leben gerettet, aber mich dabei fast umgebracht. Dieser Text ist ein bisschen ein Gedankenexperiment ala was wäre, wenn ich etwas anders gestrickt wäre und bla bla bla... und natürlich irgendwo eine überstilisierte Verarbeitung meiner Erfahrung.

Zitat:
Nun, das Gespräch auf der Wiese, zwischen den Zweien, lässt du aus. Aus Rücksicht vor dem Leser allgemein oder dem Leser in einem Forum? Denn dieses Gespräch wäre meines Erachtens sehr spannend ( das will ich unbedingt mithören ) und würde etwas mehr verraten über die spezifische Wirkung, welche etwas im Nebel bleibt.

Du hast recht damit, dass es für den Leser interessant sein könnte, aber eine direkte Wiedergabe des Dialogs würde die Stimmung und den Stil des Textes brechen. Im Ernst, zuerst  posaunt der Erzähler im höhsten Pathos von seiner Faszination für Opium und romantischer Literatur rum und dann kommt ein total enthemmter Dialog im Stile von:

"Dude, ich fühle mich gerade als würde ich auf einen warmen Marshmallow vor mich hintreiben"
"Yo, ich auch. Oh, man, mein Alter geht mir sowas auf den Sack, meine ganze Familie eigentlich, manchmal will ich die einfach mit einer Kettensäge zersägen und entsorgen. Aber irgendwie ist mir das  gerade egal"
"Wie Menschenfleisch wohl schmeckt?"
"Ich denke lecker. Bei Gelegenheit würde ich es probieren"
"Ich auch. Hmm .........  Ich will kuscheln"
"Nein, das wäre gay"
"Ah, was"
"Nee"
"Okay, dann umarme ich halt den Boden hier. Der fühlt sich auch warm an"
"Mach was du willst. Ist mir so scheißegal, ich will einfach nur liegen"
"Okay... Wenn das hier so ähnlich wie Heroin ist, sind wir nicht ziemlich tief gesunken? Wollten wir nicht prinzipiell bei bewusstseinserweiternden Psychedelika bleiben"
"Ah, das ist auch okay. Wie viel hat das uns hier noch einmal gekostet?"
"2,50 die Nase"
"Das könnten wir für 10 an die lean-Trottel verkaufen und nebenbei selber das Zeug nehmen"
"Ich glaube du wirst abhängig."
"Na und? Fühlt sich ziemlich gut an. Hat nicht Aristoteles gesagt eudaimonia, die Glückseligkeit, wäre der Sinn des Lebens? Das hier ist Glückseligkeit pur"
"Du wirst ein Junkie"
"Warum nicht? Scheiß Konformist"
[Zwei Stunden später]
"Mich juckts überall und meine Augen tun weh. Ich nehm den Scheiß nie wieder"
"Das heißt ich soll die 150g Bestellung stornieren?"
"Nein!"

Es ist einfach meiner Meinung nach Fehl am Platz.
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bamba
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 201



Beitrag02.06.2016 23:47

von bamba
Antworten mit Zitat

Leveret Pale hat Folgendes geschrieben:

"Mich juckts überall und meine Augen tun weh. Ich nehm den Scheiß nie wieder"
"Das heißt ich soll die 150g Bestellung stornieren?"
"Nein!"

Es ist einfach meiner Meinung nach Fehl am Platz.

Cool, dass ich mithören konnte, was die quatschen. Sehe schon was du meinst, von wegen stilistisch. Ev. indirekte Rede?
Ist übrigens sehr gut eingefangen, was die sich so erzählen und lässt einem teilhaben an der Wirkung des Kratom.
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Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag17.06.2016 20:18

von Leveret Pale
Antworten mit Zitat

Naja, war jetzt improvisiert. Freut mich, dass es dir trotzdem gefällt.

Also, das wäre dann mal die "finale" Fassung. Der Stil ist noch immer an De Qunicey angelehnt und hier und da hab ich etwas poliert, aber ansonsten nicht viel verändert.

Kratom

Ich kann heute nicht mehr mit voller Gewissheit sagen, wann ich zum ersten Mal von Kratom hörte, denn es muss schon lange her sein und sonderlich viel Interesse hatte ich an dieser Pflanze zunächst nicht. Verständlich, war sie doch eine, wie ich meinte, betäubende Droge und diese haben mich, das gilt auch für den Hanf und das Ethanol, nie sonderlich interessiert. Letzteres habe ich sogar noch nie konsumiert, was in unserer Gesellschaft wahrscheinlich ein nonkonformistisches Sakrileg ist. Dies liegt daran, dass mir seit jeher der Konsum von Substanzen mit dem Ziel einer sinnlosen, hedonistischen Euphorie zutiefst zuwider war und ich deshalb lange Zeit abstinent lebte. An einem Punkt in meinem Leben begann ich mich jedoch für die bewusstseinserweiternde Wirkung halluzinogener Psychedelika*  zu interessieren, hatte doch eines von diesen, nämlich die Hawaiianische Holzrose, mich wie Lazarus von den Toten auferstehen lassen. Nicht wortwörtlich, denn ich war damals noch nicht körperlich tot, sondern nur innerlich, aber ich war auf dem Weg diese Diskrepanz mithilfe von Strick oder Klinge auszugleichen. Ich lebte im nihilistischen Abgrund, meine Seele entzweit und zertrümmert, hin und her gerissen zwischen Manie und Depression, ohne Identität, dem ewigen Schlafe sehnsüchtig entgegenblickend, aller Hoffnung beraubt, doch die Parzen weigerten sich, meinen Faden zu durchtrennen. Stattdessen brachten sie mich mit den Samen der argyreia nervosa, der Hawaiianischen Holzrose, zusammen, die das Alkaloid Lysergsäureamid enthalten. Das Ergebnis dieser schicksalhaften Fügung war ein Horrortrip, eine Reise durch die tiefsten Abgründe meiner Seele, meiner frühesten schmerzhaften Kindheitserinnerungen, die im Deliriumnebel meiner Jugend versunken waren, und zur Grenze des Tartaros. Ich ging durchs Purgatorium, meine Katharsis, und meine Augen wurden gewaltsam weit aufgerissen. Ich erkannte mein Potenzial, meine Möglichkeiten, meine Fähigkeiten, meine Bürde, mein Leid und damit meine Bestimmung, eine Identität, den einzigen Sinn, für den ich geschaffen wurde und für den ich weiterleben sollte:
Das Schreiben, das Erzählen und Dichten.
Ja, ich gebe offen und ehrlich zu, dass ich die Tatsache noch am Leben zu sein und nun als Schriftsteller zu erblühen, diesem Erlebnis verdanke, ohne welches ich wohl tot oder zumindest noch immer ein Taugenichts wäre. Welcher Mensch, dessen Leben gerettet wurde, würde sich nicht mit seiner vermeintlichen Retterin, und sei sie eine Droge, auseinandersetzten? Des Weiteren schlussfolgerte ich naiver Weise, dass, wenn eine psychedelische Erfahrung mein Leben bereits so sehr verbessert hatte, mehr davon mein Leben noch nachhaltiger verbessern könnten. So begannen meine Studien der Psychologie, Ethnobotanik und Pharmakologie. Ich setzte mich mit Pionieren der Psychonautik auseinander, wie Aldous Huxley, Humprhy Osmond und Ken Kesey, doch blieb ich auch meiner alten Linie treu, las Lovecraft, King und Matheson, während meine ersten eigenen Werke das Licht der Welt erblickten. Praktisch wandte ich meine Studien aber nur selten an, zu groß war mein Respekt, zu sehr hänge ich an der Nüchternheit, dem einzigen Zustand, in dem sich meine Kreativität vollständig entfalten kann. Mein Konsum beschränkte sich auf wenige Feldversuche mit Ergolinen und einigen Kräutern, die in Abständen von mehreren Monaten stattfanden, dem gelegentlichen Konsum von Koffein in Form von Schokolade oder Kaffee und bei Bedarf Melatonin, um in manischen Phasen zur Ruhe zu kommen. Das Koffein meide ich aber mittlerweile, kann es doch wegen seiner stimulierenden Eigenschaften manische Episoden hervorrufen, die leider nur allzu leicht psychotische Züge annehmen. Mein Interesse an Psychedelika verschwand nach einigen Versuchen jedoch, denn nachdem mir mein Schicksal offenbart worden war, hatten sie mir nichts mehr zu erzählen und waren nur noch anstrengende, transzendente Erfahrungen. Ich stellte ihren Konsum daraufhin vollständig ein. Ich dachte, so würde es für immer bleiben und mein Schriftstellerleben bewegte sich konstant voran. Als ich dann meine intensiven Studien der Werke und des Lebens des Altmeisters H.P. Lovecraft, der eine große Inspirationsquelle für mich ist, abschloss, widmete ich mich seinem Vorbild: Edgar Allan Poe. Und kurzerhand verliebte ich mich das erste und vielleicht einzige Mal in meinem trostlosen Leben, aber nicht in ein Mädchen, nein, sondern in ein Zeitalter, das viktorianische. Der düstere, melancholische und opiumgetränkte Leichenduft dieser Zeit und ihre düstere Romantik zogen mich in ihren Bann. Ich las und lebte, Poe, Stevenson und Chambers. Schließlich wandte ich mich auch De Quincey zu, der mein Verführer werden sollte. Mit großer Begeisterung las ich »Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet«, einerseits, da ich seit jeher eine morbide und archaische Faszination für Tod und Gewalt hatte, anderseits weil der amoralische Ansatz mich, als einen Jünger Nietzsches, amüsierte. Nach der Kunst widmete ich mich dem Elend dahinter, welches anscheinend jeder kreativen Person zu innewohnen scheint. Ich las De Quinceys »Bekenntnisse eines englischen Opiumessers«. War Poe nicht Anreiz genug für diese Droge, die der oft zitierte Paracelsus als Wundermittel anpries, so hatte mich De Quincey vollends in seinen Bann gezogen. Dieser Mann definiert als erster im Opiatrausch das Wort subconscious, also Unterbewusstsein, Jahrzehnte vor Sigmund Freud, der aber auf dem gleichen Wege zu diesem Begriff kam: Im Opiumrausch.
Dass ich letztendlich kein Opium konsumierte, um meine Neugier zu stillen, und wohl niemals konsumieren werde, hat mehrere Gründe. Zuerst wären da die Beschaffungsprobleme, die unsichere Dosierung bei Schwarzmarktware und die alleinige Tatsache, dass die Droge illegal ist (sämtliche Halluzinogen, die ich konsumiert hatte, waren legal, vom Gesetzgeber übersehen), des Weiteren fürchtete ich mich, paranoid wie ich bin, vor dem großen Sucht- und Abhängigkeitspotenzial, welches ich bei einer Bekannten beobachten konnte, die beinahe an Opiums gieriger Schwester, dem Heroin, zugrunde gegangen wäre. Ich verdrängte mein Interesse an diesem Mittel, waren Angst und Hindernisse doch zu groß, und konzentrierte mich auf meine Schriftstellerei, publizierte meinen ersten Roman und schrieb Novellen. Dann jedoch wandte ich mich intensiver den ethnobotanischen Studien zu, da ich mir vornahm ein Buch über die Hawaiianische Holzrose, meine Retterin in dunkler Stunde, zu veröffentlichen. Bei meinen Recherchen stieß ich erneut auf Kratom und damit diese Pflanze in mein Bewusstsein.
Der Kratombaum, Mitragyna speciosa, auch Biak, Gra-tom, Roter Sentolbaum, Katawn, Mabog, Mambog oder Mitragyne genannt, gehört wie Kaffee zu der Familie der Rötegewächse und ist in ganz Südostasien heimisch. Seine Blätter enthalten das einzigartige Opioidalkaloid Mitragynin. In geringen Dosen wirkt es stimulierend, wie Kaffee oder Coca, unterdrückt Hunger und Schmerz, effizienter als jedes konventionelle Schmerzmittel, und sorgt dafür, dass selbst die monotonsten und anstrengendsten Arbeiten Freude bereiten. In erhöhten Dosierungen wird die Wirkung träumerisch und sedierend und damit dem Opiumrausch sehr ähnlich. Allerdings wirkte Mitragynin an geringfügig anderen Opioid-Rezeptoren als das Morphin in Opium, wodurch es nicht nur fast unmöglich ist die Pflanze zu überdosieren, sondern auch das Sucht- und Abhängigkeitspotenzial sehr gering sind. Letzteres wird von der thailändischen Regierung sogar als kaum vorhanden eingestuft. Seit Jahrtausenden werden daher die Blätter in Südostasien von den Einheimischen als Opiumsubstitutionsmittel und Medikament verwendet. Zur Krönung ist diese Droge sogar in dem konservativen und alkoholischistischen Gefilde Deutschland legal und problemlos über das Internet bestellbar. Weckt dies nicht wahrlich eine Reminiszenz an Soma?
Es sollte also nicht verwundern, dass es früher oder später dazu kam, dass ich zusammen mit einem guten Freund eine Kanne Kratomtee leerte. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten sollte, dass ich keine Angst hatte, denn diese habe ich immer, wenn ich mit psychoaktiven Substanzen zusammenkomme. Aber besser dies, als der fahrlässige Exzess, den ein Großteil unserer Gesellschaft jedes Wochenende mit dem harten Rauschgift Ethanol praktiziert. An jenem Tag des Kratoms hatte ich mich mit einem guten Freund in einem Hotel einquartiert. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Unsere Freundschaft ist lediglich platonischer Natur, aber wir beide waren unserer Familien Leid und wollten einige Tag lang ungestört uns der Literatur, Erholung, Spaziergängen und der Arbeit, in meinem Fall das Schreiben, in seinem die Vorbereitung für kommende Examen, widmen. Wir leerten also unsere Tassen und gingen hinaus in die kühle Nacht, die soeben über das Land hereingebrochen war. Wir spazierten zu einem nahegelegenen Park. Zunächst spürten wir nicht viel, außer der Kälte, da wir etwas zu dünn gekleidet waren, doch langsam machte sich geborgene Wärme in unseren Gliedern breit. Wir gingen auf eine Wiese, allein erleuchtet vom zarten Licht des Mondes, während die Wirkung langsam anflutete. Das Gefühl von Kälte verschwand, genauso wie die Rückenschmerzen, unter denen ich leide. Ein Gefühl von Trägheit und ein warmes Kribbeln gingen durch unsere Körper und wir hatten das dringende Bedürfnis uns hinzulegen, dem wir auch nachgingen indem wir uns auf dem weichen Rasen ausstreckten, während die Blätter der Bäume im Wind raschelten. Das Kribbeln wurde stärker und ich bemerkte eine außergewöhnliche, wohltuende Wirkung: Das Gefühl innerer Leere und Zerrissenheit, welches mich seit Jahren oft begleitet, wurde von dem warmen Licht des Opioids überstrahlt. Ich fühlte mich komplett, meine Rastlosigkeit, mein Leid gedämpft. Ich spürte Frieden. Nun verstehe ich, warum manche Menschen zu Abhängigen werden. Bevor ich mich weiter dieser faszinierenden Entdeckung widmen konnte, wurde das Kribbeln stärker und es stieg von den Beinen bis zum Kopf an. Ein euphorisches Gefühl, ein Trugbild Elysiums, das sich wie ein Ganzkörperorgasmus anfühlte und mehrere Minuten anhielt, ergriff uns beide und sorgte dafür, dass wir sprachlos wurden. Ich persönlich fand diese sinnlose Euphorie zwar angenehm aber nicht sehr interessant, da sie meine klaren Gedanken, die ich sehr schätze, etwas dämpfte. Viel erfreuter war ich, als nach wenigen Minuten dieses Gefühl nachließ und dafür das Gefühl von Frieden sich wieder in mir breitmachte. Ich fühlte mich geborgen, in Sicherheit und meine Gedanken waren nicht getrübt, im Gegenteil, sie waren ungewöhnlich klar und konstruiert, denn ich konnte über Dinge denken und sprechen, vor denen ich mich im Normalzustand fürchtete. Diese Wirkung kann ich daher als sehr schwach, aber angenehm psychedelisch bezeichnen. Während klassische halluzinogene Psychedelika, wie die Abkömmlinge des Mutterkorns, mich unbarmherzig und schmerzhaft mit mir selbst konfrontierten, mich durch die Filme meiner Erinnerungen und fremde Dimensionen zerrten, ermöglichte das Kratom einen klaren, unerschrockenen Blick auf die Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit, in der ich jedes noch so hässliche Detail betrachten konnte, ohne Schmerz, sei er psychisch oder physisch, zu empfinden. Der Freund und ich blieben lange liegen, eine Stunde sicherlich, und unterhielten uns über alle möglichen Themen, ohne Skrupel, ohne Hemmung, doch diese Dialoge sind an dieser Stelle nicht aufgeführt, würde es den Leser doch erschrecken und verstören, würde er über unsere Abgründe hören. Als die Trägheit abschwächte, erhoben wir uns und machten einen Spaziergang. Wir wanderten durch die Nacht, in Wärme gehüllt, mit einem leicht schwankenden Gefühl, doch komplett in der Kontrolle über unseren Körper und Geist. Wir unterhielten uns, wie zuvor, über Gesellschaft, Politik, unsere Familien, Philosophie und persönliche Dinge. Zwei oder drei Stunden dauerte dies, bevor wir wieder in unser Hotelzimmer gingen, hungrig, da wir den Tee auf nüchternen Magen getrunken hatten. Die Wirkung hielt noch an, aber sie wurde bereits schwächer und wir kochten einige Kleinigkeiten und aßen diese, während wir im Internet in digitalen Läden Kratomsorten begutachteten. Dies ist insofern bemerkenswert, weil das gewöhnliche Herunterkommen bei den Psychedelika bei mir so aussah, dass ich den halben Vorrat der Substanzen die Toilette runterspülte und dann von dem Rest nie wieder etwas hören wollte, wobei dieses »Nie« einmal fünf und ein anderes Mal elf Monate gedauert hatte, bis ich nach dem zweiten sinnlosen Trip den Konsum für immer einstellte.
Die Wirkung des Kratoms wurde immer schwächer und zugleich überfiel uns ein unangenehmer Juckreiz am ganzen Körper, welcher auf die typische Histaminausschüttung von Opioiden zurückzuführen ist, weshalb wir jeweils ein Antihistaminikum, Cetirizin, schluckten, was den Juckreiz zumindest etwas unterdrückte. Wir redeten noch, bis letztendlich jeder in sein Bett ging und wir einschliefen.
Das Erwachen am nächsten Tag war deutlich weniger angenehm. Es war, als hätte jemand mir jeweils eine Nadel in meine Augäpfel gerammt. Meinen Freund plagten nicht unähnliche Schmerzen. Mit schweren Köpfen machten wir uns ans Frühstück und mit der Zeit verflüchtigten sich die Schmerzen. Ich spürte noch eine leichte Kratomnachwirkung, die dafür sorgte, dass ich mich normal fühlte, nicht so leer, wie gewöhnlich. In diesem Zustand fühlte ich mich ruhig und ausgeglichen, aber ich konnte nicht schreiben, hatte kein Interesse daran. Dieses Gefühl verschwand jedoch zur Mittagszeit und ich war wieder ich, nüchtern und leidend, dysphorisch, in meiner depressiven Phase versunken und zugleich entzweigerissen, aber inspiriert. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und begann die ersten Zeilen meines zweiten Romans zu tippen. Ich versank wie so oft im Schreibrausch, dem einzigen Zustand, in dem ich mich selbst vergesse, wo die Finger über die Tastatur fliegen und der Mensch davor verschwindet. Frieden. Meine Lithiumsubstitution. Nach einigen Stunden erwachte ich aus diesem Zustand, ohne Juckreiz und zufrieden, widmete mich dann der Überarbeitung und Korrektur eines Manuskripts einer Geschichte, die ich einige Tage zuvor verfasst hatte. Gelegentlich dachte ich noch über das Kratom nach, besorgte mir einen Vorrat, kochte mir mehrmals Tee auf, als dunkle Stunden aufzogen, schüttete ihn aber weg, denn ich wollte meine Gefühle nicht ertränken; sind sie zwar schmerzhaft und vom Wahnsinn gezeichnet, so sind sie auch der Treibstoff meiner Werke, meiner Kunst, meines Eskapismus, dem Wörterschmieden und damit mein Dunkler Turm, dem ich niemals abschwören könnte, selbst wenn man mir dafür Erlösung von allem Leid anböte. Dies ist der dunkle, nüchterne Pfad, den ich zu gehen habe, dies ist der Pfad, den mir die Parzen mit der Holzrose aufgezeigt haben. Der einzige Rausch, der mich zufriedenstellt, die einzige Wahrheit, die einzige Erlösung, die ich jemals zu erreichen hoffen darf, liegen in der Schrift, alles andere ist Selbstbetrug, vergebenes Streben, nach Antworten, die nie erklingen werden, Leiden und Vergehen.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich auf meinem Bett, zu einer späten Stunde, die dem Morgen näher als dem Abend ist, rastlos getrieben vom manischen Feuer und rekapituliere, denn sieben nüchterne Wochen sind seit meiner einmaligen Kratomerfahrung vergangen. Ich stelle bitter fest, dass ich armer Tor nicht viel klüger bin, als zuvor. Noch immer ruft in mir die Neugier und die Wanderlust in andere Welten, die Sehnsucht nach Frieden, Erlösung und Antworten, nach der Blauen Blume - dabei halte ich ihn doch bereits in der Hand, den Stift, aber wirklich glauben kann ich es nicht.


*psychedelisch (psychḗ‚ Seele‘ und dẽlos ‚offenkundig, offenbar‘) = Ein Zustand, bei dem sich die Grenzen zwischen Bewusstsein, Unterbewusstsein und Umwelt auflösen. Wird oft begleitet von Visionen und Transzendenz
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Diamond
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Beiträge: 280



D
Beitrag21.06.2016 01:24
Re: Kratom
von Diamond
Antworten mit Zitat

Hallo Leveret,

Dein Beitrag zur geplanten Anthologie ist sicherlich spannend. Mein Problem beim Lesen war, dass ich schon im ersten Absatz bei einigen Wörtern in einer Enzyklopädie hätte nachschlagen müssen, um sie definieren und verstehen zu können. Dadurch fällt es mir schwer, gerade am Anfang, vielleicht dem wichtigsten Teil des Textes, den Inhalt zu verdauen. Kurz gesagt: schwere Kost, aber trotzdem gut geschrieben.

Ich würde Dir gerne ein paar Sätze aufzeigen wollen, die mir zu lang erscheinen. Sie sind fett markiert.

Ich kann heute nicht mehr mit voller Gewissheit sagen, wann ich zum ersten Mal von Kratom hörte, denn es muss schon lange her sein und sonderlich viel Interesse hatte ich an dieser Pflanze zunächst nicht.

Verständlich, war sie doch eine, wie ich meinte, betäubende Droge und diese haben mich, das gilt auch für den Hanf und das Ethanol, nie sonderlich interessiert.

Letzteres habe ich sogar noch nie konsumiert, was in unserer Gesellschaft wahrscheinlich ein nonkonformistisches Sakrileg ist. Dies liegt daran, dass mir seit jeher der Konsum von Substanzen mit dem Ziel einer sinnlosen, hedonistischen Euphorie zutiefst zuwider war. An einen Punkt in meinen Leben begann ich mich jedoch für die bewusstseinserweiternde Wirkung halluzinogener Psychedelika zu interessieren, hatte doch eines von diesen, nämliche die Hawaiianische Holzrose, mich wie Lazarus von den Toten auferstehen lassen.

Nicht wortwörtlich, denn ich war damals noch nicht körperlich tot, sondern nur innerlich, aber ich war auf dem Weg diese Diskrepanz mithilfe von Strick oder Klinge auszugleichen.

Ich lebte im nihilistischen Abgrund, meine Seele entzweit und zertrümmert, hin und her gerissen zwischen Manie und Depression, ohne Identität, dem ewigen Schlafe sehnsüchtig entgegenblickend, aller Hoffnung beraubt, doch die Parzen weigerten sich, meinen Faden zu durchtrennen. Die Aufzählung in einem Satz abzuschließen, finde ich in Ordnung. Aber der Wendung würde ich es gönnen, für sich zu stehen.

Stattdessen brachten sie mich mit den Samen der argyreia nervosa,
Frage: Muss das lateinische Wort unbedingt da stehen? Zumal weiter oben schon einmal von der Hawaianischen Rose des Rede war. Hawaiianische Rose allein klingt doch gut beim Lesen.

 der Hawaiianischen Holzrose, zusammen, die das Alkaloid Lysergsäureamid enthalten.
Das Ergebnis dieser schicksalhaften Fügung war ein Horrortrip, eine Reise durch die tiefsten Abgründe meiner Seele, meiner frühesten schmerzhaften Kindheitserinnerungen, die im, durch das Methylphenidat verursachten, Deliriumnebel meiner Jugend versunken waren, und zur Grenze zum Tartaros.
Ich ging durchs Purgatorium, meine Katharsis, - Spätestens an dieser Stelle fetzt es mich komplett aus dem Text.
... und meine Augen wurden gewaltsam weit aufgerissen. Ich erkannte mein Potenzial, meine Möglichkeiten, meine Fähigkeiten, meine Bürde, mein Leid und damit meine Bestimmung, eine Identität, den einzigen Sinn, für den ich geschaffen wurde und für den ich weiterleben sollte:
Das Schreiben, das Erzählen und Dichten.

Ja, ich gebe offen und ehrlich zu, dass ich die Tatsache noch am Leben zu sein und nun als Schriftsteller zu erblühen, diesem Erlebnis verdanke, ohne dem ich wohl tot oder zumindest noch immer ein Taugenichts wäre.
Welcher Mensch, dessen Leben gerettet wurde, würde sich nicht mit seiner vermeintlichen Retterin, uns und sei sie eine Droge, auseinandersetzten?

Ab da habe ich nur noch überflogen, bzw. quer gelesen. Das ist mir zu viel Wucht, zu viele lange Sätze, zu viele Informationen. Ein Text wie ein Überfall, und an manchen Stellen schimmerte Selbstmitleid. Andererseits beeindruckt mich Deine Wortgewalt. Deshalb kann ich dazu irgendwie kein abschließendes Feedback geben, weil der Text eine Gratwanderung ist. Wenn das von Dir so gewollt war, Hut ab!

VG Diamond
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Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag24.06.2016 18:25

von Leveret Pale
Antworten mit Zitat

Danke für das Lob und die Anmerkungen.
Die Langatmigkeit und der Pathos der Geschichte sind gewollt, da ich mich dabei von De Quincey inspirieren ließ - auch wenn ich nicht ganz so ausufernd lange und verschachtelte Sätze geschrieben habe, wie er es zu tun pflegt Laughing Es ist ein bisschen viel und intensiv, aber ich wollte mich mal an so etwas ausprobieren. Normalerweise schreibe ich auch eher simple Prosa, aber ab und zu, wenn es zur Handlung und Stimmung passt, brate ich dem Leser auch gern eins mit dem Duden über. wink

Übrigens hast du anscheinend nicht die zuletzt eingestellte Textfassung gelesen. Der Fehler mit dem uns und ein bisschen der Satzbau, sind nicht ganz identisch mit den von dir zitierten Passagen. Ist aber nicht weiter schlimm. Das meiste hilft mir weiter.

Danke und viele Grüße,
Leveret
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realTJL
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Alter: 25
Beiträge: 17



Beitrag13.10.2017 00:33

von realTJL
Antworten mit Zitat

Ich bin wirklich froh, dass ich diesen Beitrag gefunden habe!
Ich hatte keine Probleme damit, ihn zu lesen - im Gegenteil: lieber etwas zu wuchtig und erschlagend als andersherum. Stellenweise war es mir zwar zu lyrisch, aber darüber kann ich hinweg schauen. Mir gefällt besonders die Art und Weise, wie die Selbstreflexion letztendlich im Mittelpunkt steht, nachdem du darauf einige Male im Text bereits darauf eingegangen bist. Die Kritik von Diamand, dass es stellenweise zu sehr auf Selbstmitleid lastet, kann ich nachvollziehen, aber möglicherweise ist das bei solch einer Art von Text unabdingbar; ich finde es schwer, den Autor eines solchen Textes für die Auswahl der Themen zu kritisieren. Weil es sich eben offenbar um eine Niederschrift vom tieferen Unterbewusstsein handelt, und wer kann das schon beeinflussen?

Ich würde mich freuen, mehr solcher Texte zu lesen!
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