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Das plötzliche Erschrecken

 
 
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lengulins
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
L


Beiträge: 33



L
Beitrag03.02.2017 21:22
Das plötzliche Erschrecken
von lengulins
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Stellt Euch vor, eben ist das Leben noch völlig normal, die Vögel zwitschern, die Gedanken schweifen, ein Lüftchen weht und im nächsten Augenblick passiert etwas völlig Unerwartetes, Erschreckendes. Wie vollzieht ihr diesen Themenwechsel? Wie vermittelt ihr die Schreckensminute und den Stich im Herzen des Protagonisten? Wie führt ihr den Leser nahe an den Herzinfarkt?
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Hanna Aden
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
H


Beiträge: 52
Wohnort: Bochum


H
Beitrag03.02.2017 22:42

von Hanna Aden
Antworten mit Zitat

Spannende Frage smile.

Ich finde, hier kann man gut mit verschiedenen stilistischen Elementen spielen: Satzlänge, Vollständigkeit der Sätze ...

Und Verben sind auch immer toll, um das Tempo eines Textes zu verändern, die wirken subtil und werden meist nicht bewusst wahrgenommen, aber wenn du für die Beschreibungen erst eher passive Verben nimmst bzw. solche wie "spielen", "träumen", "plätschen", und dann "zerreißt" irgendwas die Stille (okay, das ist zu abgenutzt und klischeehaft) ... aber etwas knallt, etwas fliegt hoch, jemand rennt, zuckt zusammen, fällt, ... Lauter kleine, fast unmerkliche Signale, die die Stimmung verändern.

Dialoge oder Dialogfetzen eignen sich ebenfalls oft gut, um das Tempo zu erhöhen. Und je dramatischer etwas wird, desto mehr Nebensächlichkeiten kann man weglassen und sich sofort nur noch auf das konzentrieren, was wirklich zählt. Je ernster ein Thema, desto klarer und direkter die Sprache - und umgekehrt, je verspielter die Sprache, desto mehr lädt es den Geist zum Ablenken ein.

Das ist das, was mir spontan so am Abend einfällt. Ich bin gespannt, was sonst noch kommt!


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Meine liebste Stilblüte: "Auf Regeln folgt Sonne."
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Corydoras
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 39
Beiträge: 751
Wohnort: Niederösterreich


Beitrag03.02.2017 23:48

von Corydoras
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Jedenfalls nicht mit Wörtern oder Phrasen wie "aus dem Nichts", "plötzlich", etc., denn der Leser sollte genauso überrumpelt werden wie der Prota.

Ich mache es meistens so, dass ich einen neuen (einfachen) Absatz beginne und dann eben mit diesem völlig neuen Gedanken beginne.

Ich hab in meinem Manuskript zb eine Situation wo mein Prota gerade das tut, was er am liebsten macht, total in seinem Element ist, sich richtig gut fühlt, und dann kommt:
"Ein Schlag auf den Hinterkopf zwang ihn zu Boden."

Ein recht unspektakulärer Satz, aber er bricht komplett mit dem, was davor passierte.


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Mogmeier
Geschlecht:männlichGrobspalter

Moderator
Alter: 50
Beiträge: 2677
Wohnort: Reutlingen


Beitrag04.02.2017 01:38

von Mogmeier
Antworten mit Zitat

Hallo lengulins,

deinen Thread habe ich mal aus den Schreibübungen genommen und hier in die Selbsthilfe getan, da die Schreibübungen für die Textarbeit gedacht sind (also wenn man sich mit seinem Text mal an so einer Aufgabe versuchen möchte usw.).
Mit deinem Anliegen scheint es dir mehr um das Handwerkliche bzw. um eine etwaige schreibtechnische Umsetzung des Ganzen zu gehen.


Zu deiner Frage:

Ich für meinen Teil würde das Anbringen einer Schrecksekunde nicht unbedingt als Wendung oder Themenwechsel definieren, sondern eher als ein sich unerwartetes, abruptes Zuspitzen einer Situation.
Für die Umsetzung gibt es natürlich die unterschiedlichsten Herangehensweisen. Einiges ist hier schon genannt worden bzgl. Satzlänge und so. Und es ist richtig, dass sich durch kurze Stakkato-Sätze ein hohes Tempo erzeugen lässt. Das geht aber auch mit Bandwurmsätzen, die sich aus „unzähligen“ hektischen Wortgruppen zusammensetzen und die auf einen gewissen Wortwiederholungsfaktor abzielen. Aber wichtiger als das Satzkonstruieren ist es, denke ich, sich als Autor erstmal der Ursache dieser Schrecksekunde, der der Protagonist ausgesetzt ist und die der Leser miterleben bzw. durchleben soll, bewusst zu werden. Es macht nämlich schon irgendwie einen Unterschied ob so eine Schrecksekunde von einer äußeren Einwirkung auf den Prota herrührt (z.B. das Zerknallen eines Luftballons oder der augapfelsprengende Ton einer Vuvuzela) oder ob das Ganze von innen heraus vom Prota „selbst ausgelöst“ wird (z.B. ein traumatisches Erlebnis, das als Engramm im Gedächtnis festsitzt, darauf wartend, dass es endlich zubeißen und den Prota fertigmachen kann).

LG Mog


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»Nichtstun ist besser, als mit viel Mühe nichts schaffen.«
Laotse
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lengulins
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
L


Beiträge: 33



L
Beitrag04.02.2017 12:17

von lengulins
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank für Eure Vorschläge.
Ich habe mich gleich an einen Test gewagt und mir zwei Kinder vorgestellt, die eine nächtliche Wanderung durch einen Wald unternehmen. Beide machen sich fast in die Hose, aber keiner gibt es zu.
Zitat:
Tim war vorausgegangen und begann plötzlich zu rennen. „Dort vorn!“ An einem  querliegenden Stamm blieb er stehen und winkte zurück. „Der Wald lichtet sich.“ Dann hastete er ungezügelt weiter.
Michi prüfte das Navigationsgerät am Arm. Wir sind noch auf Kurs.
Ein Luftzug streifte sein Gesicht. Ein Gefühl der Kälte überkam ihn und überzog mit einer gähnenden Gänsehaut seinen Nacken. Ein dunkler Schatten glitt an ihm vorüber  und durchschnitt geräuschvoll die Luft. Jetzt von oben! Der Windstoß kam aus allen Richtungen und drückte kraftvolle Luftmengen auf ihn hinab. Das Geäst um ihn bebte. Zweige regneten hernieder.  Bestürzung durchzog Michis Glieder und lähmte seine Atmung. Wo war Tim? Er konnte den Jungen nicht ausmachen, drehte und wendete sich, fuchtelte um sich, bis sich der schwere Schatten mit einem letzten Federschwingen auf einem Ast niederließ und mit einem eindringlichen „Huhhuh“ den fremden Eindringling begrüßte.


So richtig zufrieden bin ich leider nicht. Die Schrecksekunde ist mE ausgeblieben. Woran liegt das? Doch zu langes Sätze? Eine falsche Einleitung?

VG
lengulins
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Taranisa
Geschlecht:weiblichBücherwurm

Alter: 54
Beiträge: 3207
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag04.02.2017 12:24
Re: Das plötzliche Erschrecken
von Taranisa
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lengulins hat Folgendes geschrieben:
Stellt Euch vor, eben ist das Leben noch völlig normal, die Vögel zwitschern, die Gedanken schweifen, ein Lüftchen weht und im nächsten Augenblick passiert etwas völlig Unerwartetes, Erschreckendes. Wie vollzieht ihr diesen Themenwechsel? Wie vermittelt ihr die Schreckensminute und den Stich im Herzen des Protagonisten? Wie führt ihr den Leser nahe an den Herzinfarkt?


Ich kenne deine Geschichte nicht, daher "nur mal so" als Anregung:
Prota entdeckt das plötzliche Auftauchen des Schrecklichen:
Er bricht mitten in der direkten Rede ab und reißt die Augen auf.
Er erstarrt und lässt was fallen oder verkrampft seine Hände in etwas.

Er spürt das Nahen von etwas und wird (scheinbar) unerklärlicherweise unruhig.
Er springt auf und muss unbedingt irgendwo nachsehen, weil dort ein Geräusch herkommt, dabei pocht sein Herz aufgeregt.
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sleepless_lives
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Beitrag04.02.2017 15:06

von sleepless_lives
Antworten mit Zitat

lengulins hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Tim war vorausgegangen und begann plötzlich zu rennen. „Dort vorn!“ An einem  querliegenden Stamm blieb er stehen und winkte zurück. „Der Wald lichtet sich.“ Dann hastete er ungezügelt weiter.
Michi prüfte das Navigationsgerät am Arm. Wir sind noch auf Kurs.
Ein Luftzug streifte sein Gesicht. Ein Gefühl der Kälte überkam ihn und überzog mit einer gähnenden Gänsehaut seinen Nacken. Ein dunkler Schatten glitt an ihm vorüber  und durchschnitt geräuschvoll die Luft. Jetzt von oben! Der Windstoß kam aus allen Richtungen und drückte kraftvolle Luftmengen auf ihn hinab. Das Geäst um ihn bebte. Zweige regneten hernieder.  Bestürzung durchzog Michis Glieder und lähmte seine Atmung. Wo war Tim? Er konnte den Jungen nicht ausmachen, drehte und wendete sich, fuchtelte um sich, bis sich der schwere Schatten mit einem letzten Federschwingen auf einem Ast niederließ und mit einem eindringlichen „Huhhuh“ den fremden Eindringling begrüßte.

Der Text enthält einiges an Problemen und es wäre wahrscheinlich besser den erst einmal in eines der Werkeboards einzustellen.

Zur Frage: Im ersten Satz geschieht schon etwas "plötzlich", sogar mit dem Wort selbst benannt. Das ist nur ein paar Sätze von dem Ereignis entfernt, um das es dir geht, und nimmt dem damit natürlich die Wirkung. Du baust keine Spannung auf, sondern erwartest, dass mitten in einer aktionsreichen Passage ein besonderer Moment heraussticht. Wenn du das willst, musst du aber erst verlangsamen, zum Beispiel Eindrücke schildern, die gleichermaßen oberflächlich harmlos und unterschwellig bedrohlich sind. Aus dieser verdächtigen oder idyllischen oder sonstigen Ruhe heraus, kann der Einbruch eines besonderen Ereignisses als Kontrast wahrgenommen werden.

Dann schreibst du offensichtlich aus einer auktorialen Perspektive, das macht es schwieriger, einen überraschenden Vorgang zu beschreiben, denn der Erzähler weiß ja davon und der Leser sieht das Geschehen aus dieser Sicht. Es ist keineswegs unmöglich, aber im Unterschied dazu werden beim personalen Erzähler Figur, Erzähler und Leser alle auf einmal mit dem Erschreckenden konfrontiert. Wenn alle im selben Boot sitzen, vereinfacht sich das Erzählen von stark subjektiven Wahrnehmungen wie Überraschung, Erschrecken usw.

Weiterhin ist dein Satzbau an der entscheidenden Stelle monoton, immer mit dem Subjekt des Satzes am Anfang gefolgt vom Verb. Das erzeugt das Gefühl eines geordnet ablaufenden Prozesses, eins nach dem anderen, eine Sequenz ohne Überschneidung, und kreiert nicht das Gefühl von erschrecktem Chaos und Sinnesüberwältigung. Du benutzt außerdem langsame Wörter oder Phrasen: "Ein Gefühl der Kälte überkam ihn" statt "Er fror". Eine "gähnende Gänsehaut" - was auch immer das sein soll, "gähnend" erzeugt eher das Gefühl von Müdigkeit oder Langweile. Im folgenden erklären die Sätze eher beschreibend, was passiert, als die Erfahrung der Figur wiederzugeben (siehe auch auktoriale Perspektive).


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Merlinor
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Beitrag04.02.2017 15:44

von Merlinor
Antworten mit Zitat

lengulins hat Folgendes geschrieben:
... Ich habe mich gleich an einen Test gewagt und mir zwei Kinder vorgestellt, die eine nächtliche Wanderung durch einen Wald unternehmen. Beide machen sich fast in die Hose, aber keiner gibt es zu.
Zitat:
Tim war vorausgegangen und begann plötzlich zu rennen. „Dort vorn!“ An einem  querliegenden Stamm blieb er stehen und winkte zurück. „Der Wald lichtet sich.“ Dann hastete er ungezügelt weiter.
Michi prüfte das Navigationsgerät am Arm. Wir sind noch auf Kurs.
Ein Luftzug streifte sein Gesicht. Ein Gefühl der Kälte überkam ihn und überzog mit einer gähnenden Gänsehaut seinen Nacken. Ein dunkler Schatten glitt an ihm vorüber  und durchschnitt geräuschvoll die Luft. Jetzt von oben! Der Windstoß kam aus allen Richtungen und drückte kraftvolle Luftmengen auf ihn hinab. Das Geäst um ihn bebte. Zweige regneten hernieder.  Bestürzung durchzog Michis Glieder und lähmte seine Atmung. Wo war Tim? Er konnte den Jungen nicht ausmachen, drehte und wendete sich, fuchtelte um sich, bis sich der schwere Schatten mit einem letzten Federschwingen auf einem Ast niederließ und mit einem eindringlichen „Huhhuh“ den fremden Eindringling begrüßte.


So richtig zufrieden bin ich leider nicht. Die Schrecksekunde ist mE ausgeblieben. Woran liegt das? Doch zu langes Sätze? Eine falsche Einleitung ...


Hallo lengulins

Na ja, Dein Beispiel funktioniert für mein Gefühl aus verschiedenen Gründen schlecht.
Zuerst einmal fehlt der Kontrast. Das erschreckende Ereignis schlägt nicht unvermittelt zu, sondern trifft offenbar zwei Jungen, die sich bereits in voller Bewegung befinden. Der Junge namens Tim ist sogar richtig hektisch und beginnt "plötzlich zu rennen".

Du schreibst in Deiner Einleitung zu der Szene, dass die Jungs eigentlich gehörige Angst haben, so mitten in der Nacht im Wald. Da wäre es vielleicht besser, sie sehr vorsichtig und langsam durchs Gebüsch wandern zu lassen, Augen und Ohren weit aufgesperrt, Körper und Glieder angespannt.

Die Beschreibung des erschreckenden Ereignisses selbst und seine Wirkung auf den Jungen namens Michi ist dann auch formal und inhaltlich ziemlich holperig geraten.
Einige Formulierungen sind dabei besonders eigenartig geraten: Was ist denn eine "gähnende Gänsehaut"? Und seit wann durchzieht "Bestürzung" die "Glieder" eines Menschen?
So etwas spürt der Leser natürlich und gerät aus dem Fluss. Dir selbst scheint es ja ähnlich zu gehen, denn Du schreibst, dass Du nicht wirklich zufrieden mit Deinem Beispiel bist.

Mir geht es ähnlich. Außerdem ist die Szene für mich nicht plausibel: Ich nehme an, dass es sich bei dem Vogel, der da über dem Jungen auf einem Zweig landet, um eine Eule handeln soll.
Große Nachtvögel machen dabei aber keinen Lärm, sondern fliegen fast lautlos und wenn sie landen, regnen keine Zweige herab und auch der von ihren Flügeln erzeugte Wind hält sich in Grenzen. Das sind ja keine Militärhubschrauber, sondern nahezu lautlose Jäger der Nacht.
Als Leser wundere ich mich da also und komme völlig aus der Szene raus.

Fazit: Die Schrecksekunde fehlt, weil die Jungs schon vor dem erschreckenden Ereignis so aufgeregt wie aufgescheuchte Hühner durch den Wald stolpern und das Ereignis selbst ist völlig übertrieben und sachlich falsch beschrieben.Die Reaktion des Jungen darauf wirkt darüber hinaus für mich nicht passend, sondern wirr und unkoordiniert. Dazu kommen die oben genannten Fehlgriffe in der Wahl der Ausdrücke und Begriffe.

Wie könnte es gehen: Zeige zuerst einmal die Anspannung der beiden Jungen, wenn sie vorsichtig und leise durch den nächtlichen Wald schleichen und dabei ängstlich auf jedes ungewohnte Knacken und jede fremde Bewegung achten. kein Laufen, kein Rennen sondern gespannte Erwartung und ein ängstliches Grundgefühl, das Du auch dem Leser deutlich machen solltest.
Dann genügt schon eine einzige schnelle Bewegung, um die Szene schlagartig zu verändern, wie zum Beispiel der sich im Mondlicht auf dem Waldboden abzeichnende Schatten eines großen, lautlose durch die Zweige über ihnen streichenden Vogels, durch den Schreck überdies noch ins riesenhafte verzerrt. Dann ein leichtes Rauschen und ein sanfter Windstoß, der aus den Zweigen hoch über ihnen bis zu ihnen hinunterweht und die beiden sind vor Schreck wie gelähmt.

Dafür braucht es auch keine bemühten "großen" Worte und übertrieben Beschreibungen. Kein Sturmwind muss pfeifen und keine Zweige müssen herabrieseln. Weniger ist oft mehr.
Soweit meine ganz persönlichen Ideen zu Deinen Fragen. Ich hoffe, dass Du mit meinen Anmerkungen etwas anfangen kannst.
Viel Spaß noch beim Fabulieren ... smile

LG Merlinor


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Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

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Terhoven
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Beitrag13.02.2017 22:33

von Terhoven
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Ich bin einmal mächtig erschrocken beim Lesen, da musste ich das Buch erstmal weglegen.
Das war bei Stephen Kings "Das Spiel". Da liegt die Protagonistin gefesselt in einem Bett in einem abgelegenen Landhaus, ihr Gatte hatte beim Liebesspiel einen Herzinfarkt bekommen und liegt tot neben ihr. Sie kämpft die ganze Zeit, sich aus den Handschellen zu befreien. Niemand ist da, um ihr zu helfen. In der 2. Nacht oder so liegt sie da und fantasiert schon vor sich hin in langen Sätzen und der Vorhang weht und so weiter und dann plötzlich der kurze Satz:

In der Ecke stand ein Mann.
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firstoffertio
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Beitrag13.02.2017 23:20

von firstoffertio
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lengulins,

Als Leser sehe ich in deinem Beispiel den Kontrast nicht, den du eigentlich in diesem Faden zu Beginn meintest?

Im Beispiel ist die Situation ja von Anfang an schon ein wenig angespannt.

Darum bin ich mir auch nicht sicher über Merlinors Rat.

Es soll doch erst alles normal, eher froh und glücklich sein, entspannt, gelassen, und dann der plötzliche Einschlag kommen?

Oder verstand ich das falsch?
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Yorinde
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Beitrag14.02.2017 16:31

von Yorinde
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Hallo Lengulins,
ich beziehe mich mal auf deine ganz zu Beginn gestellte Ausgangsfrage und lasse das kurze Textfragment mal außer Acht, denn daran kann man einen plötzlichen Themenwechsel schlecht üben bzw. erklären.

Zitat:
Wie vermittelt ihr die Schreckensminute und den Stich im Herzen des Protagonisten? Wie führt ihr den Leser nahe an den Herzinfarkt?


Gute Frage. Gegenfrage: Wie fühlt sich denn ein unvermittelter Schreck an? Weck mal das Gefühl in dir, wenn du unvermittelt so richtig erschreckt wirst (ich kenne das gut, bin furchtbar schreckhaft) - Herzrasen, Adrenalin pumpt durch die Adern... Versuch das dem Leser zu vermitteln, aber erkläre es ihm nicht sondern lasse es ihn spüren. Das kalte Grausen, das den ganzen Körper schüttelt.
Besonders gut schlägt die Wirkung ein, wenn die "Fallhöhe" hoch genug ist. Deswegen entsteht aus Sonnenschein und Vogelgezwitscher wahrscheinlich ein größerer Schreck, als aus nächtlichem durch den Wald rennen.
Übrigens: Es ist höchstens eine Schrecksekunde, eher keine Minute.

Ich finde das Stephen King Beispiel gut - Leserherzinfarkte hat er eben drauf. Den Leser in einer vermeintlich harmlosen Situation einlullen und dann: kurz und knackig. Bähm!
Ist leider gar nicht so einfach, aber blein dran! Smile
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Pickman
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Beitrag18.02.2017 12:27

von Pickman
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Ich bin lengulins dankbar dafür, dass sie den Text hier zur Diskussion gestellt hat und nicht in den Werkeboards, zu denen ich keinen Zutritt habe. Yorinde (11 Beiträge) denkt möglicherweise ähnlich.
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sleepless_lives
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Beitrag18.02.2017 12:37

von sleepless_lives
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Pickman hat Folgendes geschrieben:
Ich bin lengulins dankbar dafür, dass sie den Text hier zur Diskussion gestellt hat und nicht in den Werkeboards, zu denen ich keinen Zutritt habe. Yorinde (11 Beiträge) denkt möglicherweise ähnlich.

Du hast Zutritt zu den Werkeboards, nur keinen Zugriff auf Texte, die von den Verfassern eingeschränkt öffentlich eingestellt wurden. Das hätte lengulins auch hier tun können, obwohl wir das im Allgemeinen nicht gerne sehen. Irgendwo und -wie müssen ja neue Benutzer ihre Beitragszahlen erhöhen können.


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TZH85
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Beitrag19.02.2017 11:41

von TZH85
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Je nachdem, wie plötzlich etwas passiert, würde ich sogar auf das übliche Herzrasen etc. verzichten. Im ersten Moment realisiert man gar nicht, was geschehen ist. Die Herausforderung ist, den Leser ebenso zu desorientieren wie die Figur und trotzdem so viel zu verraten, dass er erahnen kann, was gerade passiert.


Ich hab mir mal was aus den Fingern gesaugt:

Das Schwiegerbiest hatte sich für drei Uhr angekündigt. Wie immer erst im letzten Moment. Ellen fluchte und versuchte, den Boden der dämlichen Papiertüte mit dem Unterarm zu stützen, während sie in der Jackentasche nach dem Autoschlüssel kramte. Wer hatte die glorreiche Idee gehabt, überall die Plastiktüten zu verbannen? Schon mal etwas von Regen gehört? Eine Dose Tomatensauce beulte den Grund der Tasche gefährlich aus und sie sah ihre Einkäufe schon Richtung Gully rollen. Schnell zum Kofferraum, rein ins Trockene. Wenn sie die Hauptstraße umfuhr, könnte sie früh genug Zuhause sein, um-
Reifen quietschten. Etwas traf sie knapp unterhalb der Hüfte - oben und unten tauschten die Plätze - jemand schrie. Im nächsten Moment schlug Ellen mit dem Rücken auf. Sie blickte mit aufgerissenen Augen in den regenverhangenen Himmel und schnappte nach Luft. Es fühlte sich an, als wären ihre Lungen in sich zusammengefallen. Eine Autotür fiel zu, jemand rief »Zebrastreifen, Sie Idiot! Rufen Sie einen Rettungswagen!«
»Nicht nötig«, sagte Ellen, aber ihre Kehle verwandelte die Worte in ein schmerzhaftes Gurgeln. Irgendetwas stimmte nicht. Sie wollte den Kopf heben, um nachzusehen, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht.


Ich weiß nicht, ob es so klappt, wie ich es mir gedacht hab. Aber die personale Erzählweise am Anfang soll den Leser erst mal einlullen und ablenken, bevor das Auto die Figur erfasst. Danach hab ich bewusst auf Beschreibungen von Schmerzen etc. verzichtet.
Ich bin als Kind mal angefahren worden auf dem Weg zur Schule. Zum Glück ist nichts Schlimmeres passiert. Eine Fahrerin hat mich touchiert, auf Höhe der Hüfte. So stark, dass es ihr den Seitenspiegel abgerissen hat. Ich bin aufgestanden und mit meinen Klassenkameraden weitergegangen. Die Fahrerin kam dann zur Schule und ich wurde in der ersten Stunde herausgerufen und nach Hause geschickt. Das Bizarre ist, dass mir alle gesagt hatten, ich wäre leichenblass gewesen, aber ich habe mich nicht anders gefühlt als sonst. Eher nervös, dass ich Ärger bekommen würde, weil ich nicht aufgepasst hatte beim Überqueren der Straße. Ich hab auch bis auf so ein dumpfes Pochen nichts gespürt. Aber am nächsten Tag hatte ich den epischsten, riesigsten Bluterguss an Hüfte und Oberschenkel.
Die Frau stand übrigens mehr unter Schock als ich und meine Mutter war wohl kurz davor, Mord ersten Grades zu begehen.

Jedenfalls weiß ich durch den Vorfall, dass die Schrecksekunde oft viel weniger Schreck beinhaltet, als man denkt. Dafür mehr Sekunde, es scheint alles wirklich langsam abzulaufen. Der Schrecken kommt erst später - im Moment des Geschehens hat man keine Zeit dafür.
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firstoffertio
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Beitrag19.02.2017 21:38

von firstoffertio
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Ich würde im Beispiel die Schrecksekunde noch kürzer machen:

Das Schwiegerbiest hatte sich für drei Uhr angekündigt. Wie immer erst im letzten Moment. Ellen fluchte und versuchte, den Boden der dämlichen Papiertüte mit dem Unterarm zu stützen, während sie in der Jackentasche nach dem Autoschlüssel kramte. Wer hatte die glorreiche Idee gehabt, überall die Plastiktüten zu verbannen? Schon mal etwas von Regen gehört? Eine Dose Tomatensauce beulte den Grund der Tasche gefährlich aus und sie sah ihre Einkäufe schon Richtung Gully rollen. Schnell zum Kofferraum, rein ins Trockene. Wenn sie die Hauptstraße umfuhr, könnte sie früh genug Zuhause sein.
Etwas traf sie knapp unterhalb der Hüfte Es fühlte sich an, als wären ihre Lungen in sich zusammengefallen. Sie wollte den Kopf heben, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht.
Jemand rief »Zebrastreifen, Sie Idiot! Rufen Sie einen Rettungswagen!
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Merlinor
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Beitrag21.02.2017 15:52

von Merlinor
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Hallo TZH85 und firstoffertio

Sprachlich finde ich an beiden Versionen nichts auszusetzen. Schwer zu sagen, ob die zweite, knappere Version von firstoffertio dramaturgisch gesehen tatsächlich Vorteile bietet.
Was mir mehr Kopfzerbrechen bereitet ist die Tatsache, dass Ihr in beiden Versionen den möglichen Kontrast nicht wirklich ausreizt.
Der unerwartete Schlag soll die Protagonistin (und so auch den Leser) doch am besten in einer Situation treffen, in der völlige Ruhe und Gelassenheit herrscht.

Hier ist die Protagonistin aber innerlich schon auf einhundert, weil sie bereits mit einer Reihe drohender Katastrophen konfrontiert ist. Da droht zum einen der unerwartete Besuch der Schwiegermutter, dann muss sie den Inhalt der durch den Regen zerweichten Papiertüte retten, ist also in Eile und aufgeregt, muss nebenbei fieberhaft jonglieren, um an den Schlüssel zu kommen, als es zum Unfall kommt.
Der unerwartete Schlag ist also nur ein zusätzliches Stück Desaster, das auf sie einstürmt. Der Kontrast ist daher nur minimal.
Der Leser sieht sich lediglich mit einem weiteren Element in einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert, dem größten zwar, dem, das alles andere ändert, soweit so gut, aber wirklich aus dem Rhythmus reißt es ihn in diesem Zusammenhang dennoch nicht.

Dramaturgisch gesehen wäre es meiner Meinung nach besser, wenn auch der Rest der Handlung diesen Kontrast stärker unterstützen würde, wenn das Drama also nicht in eine Reihe anderer Dramen platzen würde, sondern in eine Situation der Ruhe, möglicherweise gar in einen veritablen Glücksmoment.
Sicher, das klingt nach Klischee, aber eine wirkungsvolle  Dramaturgie spielt mit Klischees, denke ich.
Aber vielleicht bin ich da jetzt auch überkritisch und denke allzu ausschließlich an den Kontrast der Situationen.
Im Rahmen eines Plots wäre es vielleicht sogar vorzuziehen, wenn der Unfall sich als Teil einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten präsentiert, so wie Ihr es gemacht habt.
Mein Statement ist also auch nur eine ganz persönliche und unverbindliche Anmerkung, um die Diskussion anzuregen ... smile

LG Merlinor


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Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
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