So nah, so fern - Gänseblümchen aus dem Jenseits

[Uwe Helmut Grave]

Moin! Liebesromane werden von mir nur dann wohlwollend beurteilt, wenn es sich um so richtig schöne Schnulzen handelt – dieses Kriterium erfüllt So nah, so fern, Gänseblümchen aus dem Jenseits von Alina Stoica voll und ganz.
Auf Grund ihrer Autoren-Vita bei Amazon (Faszination fürs Übernatürliche und die Grenzen zwischen Realität und Illusion) hatte ich einen geheimnisvollen, leicht verwaschenen Mystik-Roman erwartet. Umso enttäuschter war ich, als ich gleich eingangs mit dem langweiligsten aller Horror-Elemente konfrontiert wurde. Klar, man soll spannend in einen Roman einsteigen, aber mussten es unbedingt  Krallen und Klauen sein? Ich kenne einen Gespenstergeschichten-Autor, der hat dieses Stilmittel bis zum Erbrechen verwendet, solange, bis er selbst allergisch dagegen wurde.
Geduldig durchlitt ich mit der Protagonistin deren beschissene Kindheit, erfreute mich mit ihr an ihrem kleinen Sohn und war genauso entsetzt wie sie, als selbiger bei einem Autounfall ums Leben kam. Nun war es höchste Zeit für das Mystische, das Geheimnisvolle, die wabernden Nebel usw. Doch all das gab es nicht, lediglich ein bisschen Lichtschau. Die geisterhafte Erscheinung des Sohnes wurde wie selbstverständlich in die laufende Handlung einbezogen, als sei es das normalste Ereignis auf der Welt.
Und genau das macht diesen Roman zu etwas Besonderem, genau das unterscheidet ihn von anderen Romanen mit mystischen Anklängen, bei denen man sich stets fragt: Hat die/der Protagonist/in dies alles nun wirklich erlebt, oder beruhte es lediglich auf Einbildung? Hier lässt die Autorin von vornherein keine Frage offen: Der Geisterjunge ist existent! Vor allem das Gänseblümchen, das er nach jedem Erscheinen zurücklässt, beseitigt eventuelle Zweifel.
So, und nun stelle ich mir Folgendes vor: Ein von mir sehr geliebter Mensch stirbt, beispielsweise meine Frau, die ich mehr liebe als alles andere auf der Welt. Ich bin entsetzt, am Boden zerstört, weiß kaum noch, wie ich ohne sie weiterleben soll …
Und dann erscheint sie mir in schöner Regelmäßigkeit als Geist, spricht mit mir, tröstet mich … Was würde ich von da an empfinden? Große Freude und Dankbarkeit! Welchem Menschen ist es schon vergönnt, einen geliebten Verstorbenen so schnell wiederzusehen – und darüber hinaus die wichtige Erkenntnis zu erlangen: Hinterm Horizont geht’s weiter! Ich müsste mich nicht länger fragen: „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“, sondern wüsste hundertprozentig: „Es gibt ein Leben nach dem Tod!“ Ein solches Wissen ist eine Gnade, für die ich unendlich dankbar wäre. Klar, religionsgläubige Menschen besitzen diese Erkenntnis auch, glauben sie zumindest, aber der wirklich allerletzte Beweis fehlt ihnen.
Im Gegensatz zu der Protagonistin des Romans; sie weiß Bescheid und müsste sich von morgens bis abends in ewiger Dankbarkeit bis ans Ende ihrer eigenen Tage darüber freuen.
Tut sie aber nicht!!!
Sie trauert weiter vor sich hin, bedauert sich selbst, hasst abgrundtief jene Mitmenschen, denen sie die Schuld am Ableben ihres Sohnes gibt, und sorgt auch sonst mittels permanentem Schmollen für menschliche Verwirrungen, die durchaus vermeidbar wären, würde sie wenigstens ab und zu ihren gesunden Menschenverstand einsetzen. Das sind die Momente, in denen sie mir (ihrer wichtigsten Bezugsperson, weil Leser) gehörig auf den Keks geht. Ich bin nämlich nicht Gott, der im Romanhintergrund quasi über allem schwebt, alles verzeiht und alles versteht, und der sich mächtig anstrengen muss, um die verknoteten seelischen Konflikte seines weiblichen Schützlings zu lösen. Würde Gott Atemluft benötigen, hätte irgendwann im Roman gestanden: „Puuuuuuh! Geschafft! Was für eine Mordsarbeit!“ Doch er atmet weder aus noch taucht er höchstpersönlich in der Handlung auf – und trotzdem scheint er immer da zu sein.
Womit wir beim religiösen Aspekt des Romans angelangt wären. In meinen Augen sind sämtliche Religionen und Götter eine Erfindung der Menschheit. Da ich es aber in jüngster Vergangenheit selbst mit einer Art mystischem Nahtod-Erlebnis zu tun bekommen habe, bin ich zumindest bereit, einzuräumen, dass in jeder Religion ein winziges Körnchen Wahrheit steckt. Würde man all diese Körnchen zusammenfügen, enträtselt man womöglich das Geheimnis unseres seelischen Daseins – dummerweise weiß keiner, welche Körnchen die essbaren sind, das Meiste ist Spreu.
Mit derlei philosophischen Fragen hält sich die Romanautorin erst gar nicht auf. Sie verfährt lieber so wie die Autoren meiner früheren Lieblingsserie Ein Engel auf Erden mit Michael Landon (auch bekannt als „Little Joe“ in Bonanza). In der Engel-Filmserie wurde von Anfang an als unabdingbar vorausgesetzt: Es gibt den christlichen Gott und er regelt die menschlichen Geschicke. Zu diesem Zweck schickt er seine Engel aus, die zwar keine übersinnlichen Wunder vollbringen, aber in Not geratenen Menschen helfen (wobei manchmal leichte mystische Kräfte eingesetzt werden).
Dieser religiöse Grundaspekt bildet die Substanz der Fernsehserie, und genauso verhält es sich mit Alina Stoica’s Roman: Gott ist existent, basta! Alles andere wäre auch nur halbherzig.
Einziger religiöser Kritikpunkt sind die Psalter zu Beginn eines jeden Kapitels, deren Aussagen sich mir zwar erschließen, die aber in keinem Zusammenhang mit dem nachfolgenden Text zu stehen scheinen.
Zum Schluss noch ein Lob (ohne zu viel zu verraten): Mit diesem überraschenden Ende habe ich nicht gerechnet. Zwar erahnt man es ab einem gewissen Lesezeitpunkt, verwirft diese Ahnung jedoch sogleich wieder, weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf (Christian Morgenstern). Hah! Kann es doch! Die unmögliche Tatsache wurde hier möglich gemacht. Respekt, Alina.
U.H.G.

[nothingisreal]

Jetzt hätte ich gerne Aliens Kommentar dazu gelesen.

[Uwe Helmut Grave]

Meinst Du, sie bringt mich um?
(Ich habe ihr vorhin mutig eine PN geschrieben, aber vielleicht macht sie ja gerade Urlaub in Portugal. )

[nothingisreal]

[Alien78]

Nein, ich bringe ganz sicher niemanden um. Ganz im Gegenteil, ich bedanke mich bei Uwe, weil er sich die Mühe gemacht hat, diese sehr ausführlliche Rezension zu verfassen. Und für seinen Mut, mir eine PN zu schreiben

Dass diese Geschichte nicht jedermanns Geschmack ist, war mir von Anfang an bewusst. Auch die Rezensionen bei Amazon zeigen, entweder man mag oder man hasst sie. Ich habe mich da an ein sehr "spezielles" Thema herangewagt. Ich nehme es niemandem übel, der sich damit nicht anfreunden kann. Manche glauben an Gott, andere distanzieren sich davon. Vielen haben auch Bedenken und Ängste geäussert, einen Roman zu lesen, der vom Tod eines Kindes handelt. Es ist halt kein Mainstream und wird mit grösster Wahrscheinlichkeit auch niemals ein Bestseller werden. Aber das war auch nie mein Ziel. Ich wollte einfach eine Geschichte erzählen, die aus dem Herzen kam. Aus meinem Herzen. Das muss noch lange nicht heissen, dass es auch die Herzen anderer Menschen berührt. Obwohl es scheinbar doch den einen oder anderen Leser gab, der davon getoucht war.

Nein, diese typischen Mystery-Elemente gibt es in dieser Geschichte nicht. Diese habe ich in meinen anderen Romanen eingebaut - oder zumindest versucht einzubauen, sofern mir dies gelungen ist.

Vielen Dank, lieber Uwe, für deine aufrichtige Kritik. Und dafür, dass du bis zum Schluss durchgehalten hast, obwohl diese Geschichte dich nicht wirklich überzeugen konnte. Ich an deiner Stelle hätte vermutlich schon nach wenigen Seiten aufgegeben und hätte meine kostbare Zeit einer spannenderen Lektüre gewidmet.

Alles gut, es wird kein Blut vergossen

[Alien78]

Nein, ich bringe ganz sicher niemanden um. Ganz im Gegenteil, ich bedanke mich bei Uwe, weil er sich die Mühe gemacht hat, diese sehr ausführlliche Rezension zu verfassen. Und für seinen Mut, mir eine PN zu schreiben

Dass diese Geschichte nicht jedermanns Geschmack ist, war mir von Anfang an bewusst. Auch die Rezensionen bei Amazon zeigen, entweder man mag oder man hasst sie. Ich habe mich da an ein sehr "spezielles" Thema herangewagt. Ich nehme es niemandem übel, der sich damit nicht anfreunden kann. Manche glauben an Gott, andere distanzieren sich davon. Vielen haben auch Bedenken und Ängste geäussert, einen Roman zu lesen, der vom Tod eines Kindes handelt. Es ist halt kein Mainstream und wird mit grösster Wahrscheinlichkeit auch niemals ein Bestseller werden. Aber das war auch nie mein Ziel. Ich wollte einfach eine Geschichte erzählen, die aus dem Herzen kam. Aus meinem Herzen. Das muss noch lange nicht heissen, dass es auch die Herzen anderer Menschen berührt. Obwohl es scheinbar doch den einen oder anderen Leser gab, der davon getoucht war.

Nein, diese typischen Mystery-Elemente gibt es in dieser Geschichte nicht. Diese habe ich in meinen anderen Romanen eingebaut - oder zumindest versucht einzubauen, sofern mir dies gelungen ist.

Vielen Dank, lieber Uwe, für deine aufrichtige Kritik. Und dafür, dass du bis zum Schluss durchgehalten hast, obwohl diese Geschichte dich nicht wirklich überzeugen konnte. Ich an deiner Stelle hätte vermutlich schon nach wenigen Seiten aufgegeben und hätte meine kostbare Zeit einer spannenderen Lektüre gewidmet.

Alles gut, es wird kein Blut vergossen

[Alien78]

So nun steht meine Antwort gleich doppelt und dreifach da, hatte ständig eine Fehlermeldung beim Hochladen ... sorry

Ach ja, ich wollte nur noch kurz anmerken, dass ich gerade alles darum geben würde, wenn ich in Portugal Urlaub machen könnte, aber in der Hochsaison können sich das nur diejenigen leisten, die nicht permanent hier wohnen. Für uns "Einheimische" ist diese Zeit des Jahres so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Uwe, du kannst es positiv sehen, so komme ich momentan gar nicht dazu, noch eine weitere Schnulze zu verfassen. Aber, obwohl ich kaum Zeit zum Atmen finde und schon im Ruhemodus auf der Couch lag, habe ich mir gerne die Zeit genommen, den Beitrag zu kommentieren. Vor allem NIR zuliebe

[Alien78]

Lieber Uwe,

so, nun habe ich deine Rezension noch einmal in Ruhe, ausgeschlafen und mit klarem Kopf gelesen - und musste mir beschämt eingestehen, dass ich diese gestern Nacht im Halbschlaf und nach 2 Gläsern Wein völlig missverstanden habe. Wäre ich bloss gleich wieder schlafen gegangen, anstatt Kommentare zu verfassen, die so gar nichts mit der eigentlichen Aussage deiner Bewertung zu tun haben. Ein riesiges SORRY hierfür!

Denn auch wenn die Geschichte nicht so war, wie du sie dir vorgestellt hattest und dir die Protagonistin zum Teil richtig auf die Nerven ging, konnte dich der Roman doch einigermassen überzeugen - worüber ich mich natürlich wahnsinnig freue. Meine Absicht war auch nicht, eine Geschichte zu verfassen, die gezielt religiöse Menschen anspricht und schon gar nicht, irgendwelche "Ungläubige" zu bekehren. Ich habe versucht, die religiösen Aspekte wie selbstverständlich in die Geschichte mit einfliessen und diese so natürlich wie möglich erscheinen zu lassen. Anscheinend ist mir dies deiner Meinung nach gelungen, was mich sehr glücklich macht.

Ich entschuldige mich noch einmal für die obigen Kommentare und verspreche, demnächst nur noch dann Antworten zu verfassen, wenn ich 100% wach und bei klarem Verstand bin

Ein riesiges Dankeschön für deine ehrliche Meinung und deine ausführliche Rezension!!!

[nothingisreal]

[Alien78]

[Uwe Helmut Grave]

[nothingisreal]

Ja. Tut mir echt Leid. Kommt nicht wieder vor.

[Alien78]

[Alien78]

[Uwe Helmut Grave]

Soeben habe ich die gleiche Rezension auch bei "Weltbild" hochgeladen (keine Ahnung, wann sie dort erscheint, geht angeblich schnell).
Dass meine Beurteilung des Liebesromans überwiegend positiv ausfiel, lag vermutlich an der Umgebung, in welcher ich den größten Teil des E-Books gelesen habe: eine Ausstellung von Günther Uecker mit dem Titel "Huldigung an Hafez".
Hafez (sprich: Havis) war ein persischer Dichter, und vor vielen hundert Jahren schrieb er so schöne Zeilen wie diese:
Der Glanz deiner Schönheit entfachte das Licht in der Ewigkeit und setzte in Flammen die ganze Welt. Wie in der Kerze ist all die Glut verborgen. Vom Abend an, da ich voll Sehnsucht nach dir in das Grab den Kopf lege, bis zum Morgen des Jüngsten Gerichts wird dir mein Auge zugewandt sein.
So etwas nennt man seelische Folter eines normalerweise neutralen Rezensenten!
Abenteuerromane lese ich übrigens grundsätzlich im südamerikanischen Urwald, Krimis in einer finsteren Gasse in Soho, und wo ich Sexromane lese geht Euch gar nichts an.

[Alien78]

Danke Uwe! Zu Weltbild und deren IT Problemen, die dazu führen, dass Rezensionen oft erst nach Tagen - oder im schlimmsten Fall gar nicht -hochgeladen werden, habe ich dir eine PN geschickt.

Und was Herrn Hafez betrifft, ich bin ihm unendlich dankbar für den positiven Einfluss (Im Übrigen ein wirklich schönes Zitat in deinem Post; vielleicht etwas zu kitschig und theatralisch, aber ich mag es)